Noch immer ist ein Klima, das sich selber schützt, die effizienteste Art des Ökosystems, sich zu erhalten. Es sorgt durch seinen Wandel schlicht dafür, dass das, was am stärksten bedrohlich ist, seine Lebensgrundlage à la longue verliert: der Mensch. Naturschutz, so wie wir ihn verstehen, ist Menschenschutz, mit dessen Hilfe wir vor den Folgen unserer eigenen Rücksichtslosigkeit in Deckung gehen. Am Anfang des Denkens, so heißt es, stand ein Staunen über die Welt; zu Beginn eines weltumspannenden Handelns könnte ein Erschrecken über sich selbst stehen.
Monat: April 2019
Außenhaut
Wie kommt es, dass man sich bei den Nebenmenschen, die den typisch öligen Teint eines regelmäßigen Sonnenbankbesuchs tragen, sofort fragt, was sie zu verbergen haben?
Unter Kollegen
Wenn es zu einer properen Intrige nicht reicht, lässt sich der Talentfreie gern entschädigen durch das Gefühl, der korrektere Mensch zu sein.
Erziehung zur Mündigkeit
Wenig vermittelt größeren Sinn, als Menschen zu gewinnen, von ihrer Selbständigkeit verantwortlich Gebrauch machen zu wollen, auf dass diese danach trachten, Menschen zu gewinnen, von ihrer Selbständigkeit verantwortlich Gebrauch machen zu wollen. Freiheit kann sich nur mit sich selbst belohnen. Vor allem, wenn sie entdeckt, dass ein viel größerer Spielraum entsteht, wenn sie sich von der Enge individueller Entscheidungssituationen gelöst hat, indem sie ihre Freude an gesellschaftlichen Gestaltungsaufgaben auslebt.
Gute Gestaltung
Gute Gestaltung lenkt den Blick von sich weg, hin auf alles, was nur durch eine solche Form hervorgehoben, prominent präsentiert wird. Sie flieht jede frivole Effekthascherei und ist, was Design zu sein nur selten sucht: diskret. In dieser zurückhaltenden Selbstverständlichkeit des Schönen dient sie ihrer Umgebung, schafft Atmosphäre und Raum, Klarheit und Konzentration, lässt Benutzeroberflächen wie ein offenes Gesicht erscheinen, das sich freundlich, ja einladend dem Menschen zugewandt hat. Gestaltet verliert die Warenwelt ihren Charakter als Ware, aber vermeidet den geringsten Eindruck, ein Gegenstand würde sich über seine Anschauung anschicken, mehr sein zu wollen als ein weltlich‘ Ding.
Gebeugte Wahrheit
In einer Welt wachsender Unübersichtlichkeit kommt es nicht mehr darauf an, ob und wie wir von einer Sache recht denken, sondern dass wir uns bei ihr überhaupt irgendwas denken können. Vor die Argumentation hat sich die Assoziation gesetzt; an die Stelle der Frage, was wirklich genannt zu werden verdient, ist die Aufgabe getreten, dieser Sache Wirksamkeit zu verschaffen. Der große Erfolg dessen, was entrüstet Fake News genannt wird, setzt an beim mangelnden Interesse an der logischen Struktur von Begründungen und der Bedeutung von Wahrheit. Die einst stolze Rhetorik, der es um diese Anstrengung ging, hat sich instrumentalisieren lassen und ist degeneriert zur billigen Verkaufsmasche, die einer Nachricht, die es kaum wert ist, dass man ihr Gehör verschafft, zur Aufmerksamkeit verhilft. Wo das Denken ausbleibt, merken wir vielfach nicht, was an den Haaren herbeigezogen ist, wenn nur einer auf Glatzen Locken brillant drehen kann.
Ruf zur Ordnung
Disziplin ist jene Haltung der Freiheit, die sie ernstnimmt als ein menschliches Vermögen, das den Zwang nicht einfach flieht, sondern in der Verpflichtung eine Aufgabe entdeckt, die täglich in Anspruch genommen werden will. Und die zu erfüllen lohnt, weil Freiheit nur so als wirklich erfahren wird, dass sie wirksam bleibt.
Verschmerzt?
Es sind die kleinen Misserfolge, welche sich bei nächster Gelegenheit wieder korrigieren lassen, die jene große verpasste Chance bilden, sobald die Schlussbilanz gezogen wird. Was im Moment aussieht, als sei es ein Lapsus, der nicht ins Gewicht fällt – das Unentschieden, das sich lang wie ein Sieg anfühlte, bevor in der letzten Minute der Gegentreffer fiel; die vertändelte Beförderung; kaum merkliche Nickligkeiten in einer Beziehung – all diese scheinbaren Petitessen, denen das Urteil, nichts sei schlimm an ihnen, fast zu viel der Aufmerksamkeit bietet, tragen bei zum Stoff, aus dem die maßgeblichen Niederlagen gebildet sind. Meist entscheidet sich, was am Ende im ganzen nicht gelingt, an vielen minimalen Details, denen zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Sie rächen sich mit schmerzhafter Geste.
Plädoyer für das Leben
Wenn die Ostergeschichten von der Auferstehung des Gottessohns eine versteckte Handlungsanweisung enthalten sollten, dann kann es nur das Plädoyer für das Leben sein: für Entwicklung statt Stillstand, für die Überraschung anstelle der Routine, für das Neue, ohne das zu verachten, was dadurch alt geworden ist, für Barmherzigkeit als dem Sinn von Gerechtigkeit, für Mut und Ermutigung, für Zuversicht und Glauben in jeder Ausweglosigkeit, für Kraft im Schwachen, für Befreiung von Ohnmacht.
Gerade noch glauben
In den testamentarischen Erzählungen vom leeren Grab ist weniger formuliert, was der Glaube an dogmatischen Zumutungen bereithält – dass ein Gestorbener zurückkehrt ins Leben –, als jenes unbedingte Zutrauen bezeugt, dass nicht einmal der Tod zerstören kann, was Gottes Verhältnis zum Menschen ein für allemal bestimmt: eine Liebe, die kein Ende kennt.
Wundern gibt es immer wieder
Die größte Leistung der Philosophie, die nach alter Vermutung mit dem Staunen begonnen haben soll, ist, dass sie es geschafft hat, jenes Wundern über die Welt in eine Frage zu übersetzen, über die sinnvoll nachgedacht werden kann.
Der Ernstfall
Die zwei Wörter des Karfreitags: für Dich.
Fehlentscheidungen
Im Nachhinein stellen sich besonders jene Entscheidungen als wertvoll heraus, die zur Folge haben, dass wir zu den Fehlentscheidungen unseres Lebens ein versöhntes Verhältnis entwickeln können.
Atemlos durch den Tag
Höchstgeschwindigkeit gilt nicht selten als ein Anzeichen von Intelligenz. Wenn jemand schneller ist als das Gros seiner Mit- und Nebenmenschen in Entscheidungen, bei der Diagnose von Handlungsfehlern, im Erfassen von sozialen Atmosphären oder einfach nur als schlagfertiger Zeitgenosse, schafft er sich rasch mit seiner wachsenden Ungeduld auch eine Überlegenheit in den privaten und beruflichen Gesellschaftsspielen. Immer etliche Schritte voraus sieht er mehr als die anderen, kann Situationen früher einschätzen. Und langweilt sich entsetzlich, wenn diese für das, was er längst erkannt hat, ihre Zeit brauchen. Der stille Vorwurf, mit dem er sich auseinandersetzen muss, ist stets: dass er diese anderen für dümmer hält. Dabei ist seine Gefahr, dass ihm auf Dauer selber vieles entgeht, weil er stets schon die Antwort zu kennen meint, ohne mehr darauf zu achten, wie die Frage gelautet haben könnte, für die er eine Lösung gefunden hat. Und zu bedenken, welche möglichen anderen Erwiderungen auf sie auch sinnvoll gewesen wären.
Was bedeutet das?
In einer Zeit, die für den sinnbildlichen Aspekt eines Ereignisses wenig Empfinden hat außer subjektive Erschütterung, ist jeder Versuch, ein Zeichen zu übersetzen, zugleich dessen Trivialisierung. Es gibt Symbole, die erst reden, wenn man über sie schweigt.
Mehr als nichts
Kreativ zu sein, heißt nicht, leere Räume zu füllen. Sondern leere Räume zu schaffen.
Paralyse, Paradox, Passion
Die Widersprüchlichkeiten des Lebens sind nicht Widersprüche gegen das Leben. Und doch hindern sie es zuweilen, wenn der Versuch, aus ihnen herauszufinden, nur immer weiter in sie hineintreibt. Organisationen kennen solche Paradoxe zuhauf: wenn zwei Anspruchsnehmer, der Anteilseigner und der Kunde, gleichermaßen Leistung fordern, die aber unterschiedlich bewertet wird, so dass unzufrieden macht, was den anderen beglückt. Zwischen Effizienz und Innovationszwang, zwischen Flexibilität und Orientierungsbedürfnis, zwischen solchen Polaritäten können Menschen die Lebendigkeit eines Unternehmens erfahren oder dessen Lähmung. „Doch soll man vom Paradox nichts Übles denken; denn das Paradox ist des Gedankens Leidenschaft, und der Denker, der ohne das Paradox ist, er ist dem Liebenden gleich, welcher ohne Leidenschaft ist: ein maßiger Patron.“* So führt Sören Kierkegaard in jene logische Figur ein, die ihm zum Beschreibungsmaßstab wird für jenes Geschehen, das die Christenheit mit Beginn der Passionswoche an Palmsonntag und in der Osterzeit feiert: Gott, der menschlicher nicht zu nennen ist, wenn er für alle stirbt, und göttlicher nicht erscheint, wenn er als der eine für alle ein für allemal den Tod überwindet. Das ist paradox. Und nicht allein des Gedankens Leidenschaft. Gegenüber dem Paradox gibt es nur die Alternative Erschöpfung oder Erlösung.
* Philosophische Brocken, Gesammelte Schriften, 10. Abt., 35
Wohnungsnot
Eigentum verpflichtet. Wohl wahr: den Eigentümer – und den Staat. Denn das Grundgesetz fordert vom Gesetzgeber, einen unantastbaren Freiraum zu schaffen, in dem das Individuum mit dem Seinen machen kann, was es will.* Das unterschlagen jene lässig, die gerade tabulüstern mit Enteignung drohen, um so von den eigenen Fehlleistungen in ihrer Wohn- und Baupolitik abzulenken.
* Art. 14 GG; siehe auch dazu Christoph Gröpl, Kay Windthorst, Christian von Coelln (Hrsg.): Grundgesetz: Studienkommentar, München 2017 und Wilfried Berg: Entwicklung und Grundstrukturen der Eigentumsgarantie. In: Juristische Schulung 2005, 961
Tat und Täter
Unser Rechtssystem ruht auf der strikten Unterscheidung (nicht: Trennung) zwischen Tat und Täter. Sie macht erst möglich, eine Handlung jemandem verantwortlich zuzuschreiben, also anzunehmen, dass er sich hätte auch anders stellen können zu einer Situation. Erst diese Freiheit erlaubt einer Gesellschaft, sich das Recht ihrer Freiheit herauszunehmen, ihn eines Vergehens zu überführen und zu bestrafen. Wenn Hegel in seiner Rechtsphilosophie schreibt, dass in der Strafe „der Verbrecher als Vernünftiges geehrt“* wird, dann überweist er der entsprechenden Ahndung die Funktion, den Täter davor zu bewahren, seine Tat loswerden zu müssen, auch wenn er sich von ihr lossagen sollte. In der Strafwürdigkeit seiner Handlung kann er sich als Subjekt unter versöhnten Bedingungen wiederfinden. Eine Abspaltung (und sei sie psychologisch) ist nicht nötig. Erst die Strafe erlaubt, was in der Vorstellung von der Würde des Menschen als Denkfigur angelegt ist: dass wir nicht in unseren Wirkungen aufgehen, obwohl wir uns selber erst finden, indem wir wirken.
* Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 100. – Fritz Mauthner hat diesen Passus, ihn leicht variierend – „die Strafe ist das Recht des Verbrechers“, als ein „bodenlos frivoles, ja infam witziges Wort“ bezeichnet. (Wörterbuch der Philosophie. Zweiter Band, Kapitel 55, IV)
Unheimlich erfolgreich
Erfolgsphasen bekommen, je länger sie dauern, mit jeder zusätzlichen Verbesserung einen charakterlichen Effekt, der sie von einer Glückssträhne kaum unterscheidet. So wächst mit jedem Sieg, jeder Gewinnsteigerung nicht nur das Selbstbewusstsein einer Mannschaft oder Organisation (nicht immer das Selbstvertrauen), sondern auch die versteckte Befürchtung, es könne diese Serie alsbald reißen. Man wird sich selber unheimlich. Und erkennt, bei aller Leistung und deren Konsequenz, mit dieser Skepsis gegenüber dem anhaltenden Aufschwung an, dass sich in alles Gelingen etwas einmischt, was wir uns selber nicht zuschreiben wollen und vielleicht doch zuschreiben müssen. Und dass daher ein Fortschreiben nicht selbstverständlich ist. Die leise Angst, es könne aufhören, was sich da aufs Schönste angebahnt hat, die sich beschwörend niederschlägt in der Mahnung, es nicht zu übertreiben, sich auf schlechtere Zeiten vorzubereiten, demütig zu bleiben, dieser diskrete Unglaube resultiert aus einer tiefen Einsicht ins Allzumenschliche: Wir wissen, wie wenig wir auf uns zählen können, sobald es darum geht, dass man mit uns rechnet.
Kaum zu Hause, keine Heimat
Im Duden ist das Wort „Heimat“ ein singulare tantum, ihm fehlt grammatikalisch die Möglichkeit, eine Mehrzahl zu bilden. Aber man kann auf vielerlei Weise heimatlos sein, politisch und religiös, familiär wie auch geographisch, als Fan einer Fußballmannschaft oder weil man ein unbehaustes Leben führt. Wieder ist das Intakte nur einfach, wohingegen auf höchst verschiedene Arten die Formen des Misslingens vorgestellt werden – und schon wegen ihrer Vielfalt auch viel interessanter erscheinen.
Politische Lehrstunde
Eines der Grundmuster in der Gegenwartspolitik ist, Fragen heimlich zu stellen, weil man glaubt, der Öffentlichkeit Antworten zu schulden. Ungewissheit stört, so die Maxime, wie der Selbstzweifel zerstört. Das erschwert die Einigung im Streitfall, wenn dogmatische Positionen aufeinanderprallen, wie umgekehrt der Ernstfall des Parlaments sich in dessen Fähigkeit zum Kompromiss zeigt. Vom Denken oder der Kunst, die der Fraglichkeit das Vorrecht vor der Antwort einräumen, unterscheidet sich das fundamental. Hier wird das Handeln verzögert um einer besseren Einsicht willen, obgleich gerade in Kritik und Skepsis sich äußern will, dass die Wahrheit eines Gedankens seine Praxis ist. Die Politik macht es den Antworten schwer, zu einer Überzeugung zu finden; die Philosophie macht es dem Tun schwer, sich auf eine Idee zu berufen.
Die Welt und wir
Nichts gegen ökologische Vernunft oder das regulative Ideal der Nachhaltigkeit, das deutlich stärker als Entscheidungskriterium von Handlungen heranzuziehen ist, die im emphatischen Sinn menschlich zu heißen verdienten. Aber im Anspruch, das Weltklima zu retten, zeigt diese Vernunft denselben Charakter, der ihr auch bei der Zerstörung unseres Lebensraums stets ein zuverlässiger Begleiter gewesen ist: Maßlosigkeit.
Bankmenschen
Die meisten Banker sind Menschen, die zwar rechnen können, aber keine Phantasie haben. Sie treffen auf Kunden, die zwar reich werden wollen, aber keinen Mut besitzen. Und empfehlen ihnen Anlagen, die zwar hohe Gebühren kosten, aber keinen großen Ertrag bringen. Um ihnen dann zu erklären, dass alle zwar mehr erwartet hätten, es aber noch viel schlimmer hätte kommen können. Was dazu führt, dass die Kunden zwar verärgert sind, aber keine Konsequenzen ziehen. So dass es zur faulen Gewohnheit wird, zwar einem Berater zu folgen, ihn aber für unfähig zu halten.