Tag: 19. Juni 2021

Wir

Innerhalb der grammatischen Personen, die die Gesprächsrollen bezeichnen*, unterscheidet die deutsche Sprache schlicht zwischen Singular und Plural: hier die Folge ich / du / er, sie, es; dort die Reihe wir / ihr / sie. Nicht markiert ist die dimensionale Verschiebung, wenn zu Ich und Du nun ein Wir hinzukommt, das mehr darstellt als deren Addition. Das „Wir“ ist eine symbolische Größe, nicht recht fassbar, kaum anschaulich. Jeder, der in einem paarweisen Lebensverhältnis sein Glück gesucht hat, wird dieser Form eigenen Rechts gewahr, wenn er in die Verlegenheit gerät, auf dessen bemerkten Verlust reagieren zu sollen durch „Arbeit“ an der Beziehung. Das „Wir“ will eigens gepflegt sein, weil es sich nicht von selbst ergibt durch den Zusammenschluss von Ich und Du. Die Aufzählung der Mehrheitsrollen im deutschen Sprachregelwerk bildet nicht den Qualitätssprung ab, der mit der quantitativen Erweiterung von der Einzahl in die Vielzahl einhergeht.

* Harald Weinrich, Textgrammatik der deutschen Sprache, 94ff.