Ich hasse Notizbücher

Zu Zeiten, da Politiker ihrer vielen Talente wegen noch nicht gescholten wurden, sondern geschätzt waren, und sie auf verschiedenen Gebieten, auch finanziell, reüssierten, schrieb der 1922 ermordete Walther Rathenau Aufsätze, die von tiefen Einblicken ins Geschäftliche kündeten. Er war maßgeblich beteiligt an der Konzernentwicklung der AEG, die sein Vater gegründet hatte, rief mit Gesinnungsgenossen die Deutsche Demokratische Partei ins Leben und publizierte kultur- und gesellschaftskritische Bücher. In einem zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts erschienenen Essay zur „Physiologie der Geschäfte“ versammelte er jene Erfahrungen, die er als unerlässlich ansah für wirtschaftlichen Erfolg. „Gefährlich ist allgemeine Bildung; ich kenne nur wenige, die über den Schatz ihrer Kenntnisse nicht gestrauchelt sind“, hielt er dezidiert fest. Ohne allerdings einen antiintellektuellen Affekt zu zeigen. Im Gegenteil zeugen seine Schriften von einem durchweg neugierigen und weit interessierten theoretischen Geist, der nie den pragmatischen Gesichtspunkt einer Sache aus den Augen verlor. „Ich pfeife auf das, was man die großen Ideen nennt. Sie liegen auf der Straße. Sie kommen zu Dutzenden, dieses Gesindel, wenn wir träumen, wenn wir verdauen oder wenn wir Erholung suchen.“ Auch hier nichts wider den klugen Einfall, aber alles gegen die überladene Geste, die manchmal mit ihm einher geht und das Wesentliche verstellt. Der Kaufmann muss vor allem wach sein, schnell handeln können, den Überblick behalten, ein ausgewählt funktionierendes Gedächtnis besitzen, über Fleiß verfügen, sich zu begrenzen wissen – um jederzeit die günstigen Gelegenheiten ergreifen zu können. Bewunderung empfand Rathenau daher für Napoleon, von dem erzählt wurde, dass er über ein opulentes Erinnerungsvermögen gebot, das ihm erlaubte, sich an jedes noch so entfernte Detail zu entsinnen und dennoch das große Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren. Nicht ohne Selbstironie heißt es daher zusammenfassend: „Ich hasse Notizbücher. Wer viel notiert, ist ein Subalterner oder ein Dummkopf.“* Alles kommt darauf, seine Gedanken zu beherrschen, sie nach Belieben ins Bewusstsein rufen zu können oder sie zu vergessen, um Platz zu schaffen für Nachfolgendes. Nichts hingegen liegt an dem, was im Geschäftlichen entscheidend sein kann: am Besitz.

* Walther Rathenau, Physiologie der Geschäfte, in: Die Zukunft (hg. Maximilian Harden) vom 29. Juni 1901, 501ff.