Limburg*

Gnade vor Recht ergehen zu lassen, ist ein Vorrecht der Mächtigen. Sie allein können auf die Durchsetzung der Gesetze verzichten und der Verzeihung die größere Veränderungskraft zutrauen als der formal geforderten Strafe. Darin es zu Meisterschaft und singulärer Expertise gebracht zu haben, vermag jenes Testament mit Fug zu behaupten, auf das sich die Kirche als ihr wichtigstes Grundzeugnis – wenn schon nicht immer beruft, dann wenigstens – berufen sollte. In dem wird von einer Magd berichtet, die mit ihrem kostbaren Öl die Füße des Welterlösers benetzt. Das begleitende Volk reagierte so wie immer, heuchlerisch entrüstet ob der ungeheuren Verschwendung. Und der mit dieser Geste Bedachte, dem nachgesagt wird, dass er in arme und obdachlose Zustände hineingeboren wurde und zeit seines Lebens auf materielle Güter nicht viel hielt? Er macht daraus ein Gleichnis über den wahren Reichtum: den des Schulderlasses (Lukas 7, 37-50). Wo viel vergeben wird, wächst große Liebe. Sowohl die pharisäische Empörung über die Baukosten wie die frömmlerische Verteidigung der neu errichteten Bischofsresidenz im beschaulichen Grenzstädtchen zwischen Taunus und Westerwald verfehlen weit das Niveau der Sache: als ob es um goldene Wasserhähne an überteuerten Badewannen ginge oder das verbriefte Recht auf Repräsentanz eines nie bezifferten Vermögens. Nicht an dem, was sie hat, entwickelt sich oder zerbricht letztlich das Vertrauen in die Integrität einer Institution, sondern an dem Verhältnis, das sie dazu hat. Die Glaubwürdigkeit einer Einrichtung, die wie keine andere wissen müsste, dass Rechthaberei nicht die zwangsläufige Folge davon ist, Recht zu haben, hängt viel an der Art, wie sie jene behandelt, welche die gebotenen Grenzen auch in diesem Unterschied nicht angemessen gewahrt haben. Was der Wiener Großschriftsteller Robert Musil einmal die „Moral des nächsten Schritts“ genannt hat, kann der Scheinheiligkeit hier wie dort den Boden entziehen: „Nie ist das, was man tut, entscheidend, sondern immer erst das, was man danach tut!“ (Der Mann ohne Eigenschaften, Band 1, 735) Im Verzicht auf Macht zeigt sich der wahre Reichtum jener, die es nicht nötig haben. Das ist die diskreteste Form seiner Darstellung: dass Gnade vor Recht ergeht, ohne das Recht so zu beugen, dass die Gnade dabei billig wird. An dieser Armut ist nichts arm.

*Am Tag der Papstaudienz von Bischof Tebartz-van Elst