Mit der Lautmalerei, wo die Stimme und die bildende Kunst sich in einem frühen Stadium am nächsten gekommen sind, mag die Geschichte der Sprache begonnen haben. Ihre höchste Form erreicht sie in der Lyrik, wenn sich Wort und Musik voneinander berauschen lassen. Kurz bevor sie reine Melodie werden, erinnern sich begriffliche und erzählende Form gerade noch an ihre Aufgabe, einen Vorstellungsraum zu bilden; und der dichtende Tonsetzer greift nicht nach Noten, sondern vertraut dem Klang von Rhythmus und Reim.
Monat: März 2019
Zu Asche, zu Staub
Wenn nicht von vornherein jeder Anspruch, das eigene Leben zu ändern, von der Moral verniedlicht würde*, käme er der Seriosität dessen sehr nahe, was einst „Buße“ hieß oder zur Umkehr aufrief.
* Die Fastenaktionen der beiden Großkirchen, die am Aschermittwoch beginnen, stehen unter dem Motto „Mal ehrlich! Sieben Wochen ohne Lüge“ (ev.) und „Mach was draus: Sei Zukunft!“ (kath.). Als ob Wahrheit schon durch den Verzicht aufs Lügen zu entdecken sei. Was verdient, wahr genannt zu werden: die nackte Faktizität; oder das Mühen um Erträglichkeit? Eine Welt ohne Lüge und Selbstbetrug wäre genauso wenig auszuhalten, wie eine Welt nur schwer zu erdulden ist, in der dauernd getäuscht und gemogelt wird. Und als ob es nicht schon hart genug sei, dafür zu sorgen, dass Menschen eine Zukunft haben. Zukunft zu „sein“, so beglückend das sein mag, lässt sich allenfalls als ein Geschenk, als eine gnädige Begabung vorstellen, nie aber als das Ergebnis von dem, was man „macht“.
Börsenweisheit
Die Ratschläge, die der Anlegermasse von den Vermögensprofis gegeben werden, sind allesamt defensiv und dienen vielleicht, große Verluste zu vermeiden. The trend is your friend oder „Greife nie in ein fallendes Messer“, solche mehrheitstauglichen Finanzweisheiten haben noch nie zu Reichtum verholfen, ebensowenig wie die als Klugheitsregel maskierte Banalität, man solle sein Geld breit streuen in unterschiedliche Anlageklassen, wenn man die Zukunft nicht kennt. Wer weiß über sie schon präzise Auskunft zu geben. Was alle wollen, ist an der Börse zu teuer. Der wahre Spekulant ist erfolgreich, weil er gegen die Überzeugung der Vielen handelt und, nicht unwichtig, diese ins Unrecht setzt.
Überwältigend überzeugen, überzeugend überwältigen
Große Worte überzeugen nicht. Sie überwältigen. Da spielt Wucht mit Wahrheit; Kraft verformt die Klarheit. Der Hörer ist angerührt; doch wie soll er antworten? Nichts wäre falscher, als in der Sprache zu erwidern, in den Wettstreit einzutreten über die Frage, welcher Satz stärker sei. Es gibt nur eine Entsprechung, die angemessen ist: das Leben, das sich zu Herzen genommen hat, was gesagt ist, indem es zeigt, was gar nicht zu sagen wäre.
Und die Moral von der Geschicht‘
Wie viele Aphoristiker beginnen als sprühende Kritiker und enden als spröde Moralisten.
Die schreibenden Claqueure
So mancher Text, meist in der Form der Anrede formuliert, der unmittelbar zwar keine Antwort fordert, den nicht zu erwidern allerdings unhöflich wäre, macht den Adressaten zum schreibenden Claqueur. In der Zwickmühle gefangen hat jede Erwiderung einen leichten Zug von Unbequemlichkeit, als verweilte man zu lang schon auf einem harten Küchenstuhl und hätte alle Sitzpositionen mit mäßigen Erfolg, die richtige zu finden, ausprobiert. Nicht zu reagieren, belastete latent das Verhältnis bis zum nächsten Gespräch; belanglos zurückzuschreiben signalisierte unfreiwillig das Einverständnis, sich instrumentalisieren zu lassen. Im Grunde müsste es eine vornehme Form des inszenierten Applauses geben, die dem Angesprochenen die Möglichkeit der bestellten Verweigerung gibt zu entgegnen.
Überfluss und Überdruss
In einer Welt, deren Informationsüberfluss längst mit einem Informationsüberdruss beantwortet wird, weil sie zudringlich geworden ist durch den frei offerierten Zugang übers Netz, verändert sich auch die Bedeutung von Erfahrung. Das hat weniger zu tun mit wachsender Ignoranz gegenüber jenen, die aus ihrem Fundus noch voll schöpfen könnten. Sondern vor allem mit dem Schwund an Anstrengung, ein Ziel zu erreichen, Wege zu finden, Hindernisse zu überwinden, Umleitungen in Kauf zu nehmen. Erfahrung ist das, was sich ausbildet, wenn man erlebt, was sonst noch möglich wäre, weil die direkten Zugriffe verschlossen sind. Das kommt immer seltener vor. Schon Walter Benjamin schrieb in einem Aufsatz im Jahr 1933: „Erfahrungsarmut: das muß man nicht so verstehen, als ob die Menschen sich nach neuer Erfahrung sehnten. Nein, sie sehnen sich von Erfahrungen freizukommen, sie sehnen sich nach einer Umwelt, in der sie ihre Armut, die äußere und schließlich auch die innere, so rein und deutlich zur Geltung bringen können, daß etwas Anständiges dabei herauskommt. Sie sind auch nicht immer unwissend oder unerfahren. Oft kann man das Umgekehrte sagen: Sie haben das alles »gefressen«, »die Kultur« und den »Menschen« und sie sind übersatt daran geworden und müde.“*
* Erfahrung und Armut, Gesammelte Schriften. Band II/1, 218