Tag: 6. März 2021

Der letzte Stadtcowboy

An diesem Samstagmorgen kämpft die Frühlingssonne mit dem winterlichen Nachtfrost um die Vorherrschaft jenseits der Nullgradgrenze. Ihre noch schwachen Strahlen spiegeln sich stumpf im Basaltpflaster vor dem Brunnen. Man ahnt die Wärme, zu der sie später am Tag fähig ist, wenn der Platz sich gefüllt haben wird. Ein frischer Espresso im Pappbecher gibt den klammen Fingern kurz das Gefühl von Behaglichkeit, bevor sie sich wieder in den dicken Handschuh verkriechen. Der letzte Cowboy der Metropole, mit Stetson und Jeans, ist auch schon auf den Beinen und nestelt zwischen den Stufen der Sandsteintreppe am Rathaus herum; er sammelt das Glitzerpapier ein, bunt und in Herzform, das übrig ist vom Glücksregen, der über dem gestern im Amt getrauten Paar niedergegangen war. „Ich sammele Herzen“, brummt er wiederholt in sich hinein. Da kreuzt, laut und mit heiserer Stimme, ein zweiter Großstadtnomade die Spur und ruft im Singsang, vom Widerhall der Fachwerkhäuser ermuntert: „Ich bin der Verteidigungsminister von Japan, bi scho hi“ – was auch immer das bedeutete. Der Cowboy schaut kurz auf den weißhaarigen Kollegen des Selbstgesprächs, drückt ihm eines der Papierherzen in die Hand und sagt: „… damit du nicht auf dumme Gedanken kommst“. Dann geht jeder friedlich seiner Wege.