Tag: 14. November 2021

Der Mensch im Tier

Aus einer Haus-, Garten- und Wildtierkunde:
Unter allen Einteilungen, die den Tieren einen Rang und eigenen Namen in dem weitverzweigten Verwandtenverbund der Natur zuweisen, ist deren Gliederung nach Graden der Zähmbarkeit sicher die menschlichste. Und vielleicht auch die tierigste. Keiner käme auf den Gedanken, einen Hund als seinen besten Kameraden zu wählen, und das nicht nur mangels Alternative, wenn das Vieh sich am Veloursofa zu schaffen machte, wie es seine wilden Artgenossen zu tun pflegen, die das freie Unternehmertum als blutigen Wettbewerb um die besten Futterplätze dem sicheren Angestelltendasein im soliden Beamtenhaushalt vorgezogen haben. Und dennoch reichte das nicht für die tiefsten Empfindungen, die der Mensch seinem bellenden Wahl- und Mitbewohner entgegen- … ja, was: bringt? Nein, er bringt sie ihm nicht, er krault und zwickt, liebkost, kämmt und reibt all seine überaus zugeneigten Gefühle ins struppige Fell hinein, als seien sie eine wohlriechende Seelentinktur. Was aber wären all diese Gesten der maßlosen Freundlichkeit, würden sie nicht erwidert durch den freundschaftlichen Blick des Vierbeiners. In den Augen des Tiers erkennt der Mensch fast sich selbst: zu so viel Trauer und Treue, Verständnis und Verschmitztheit ist kein anderes Wesen fähig, denkt er. Und sieht in ihm die Vollendung solcher Tugend.
Was dem Haushund die Augen, sind beim Fisch, um über die Vielzahl der Gattungen hinweg gleich ins kalte Wasser zu springen, Maul und Schädel als Merkmale seiner dunklen Menschlichkeit, die in den allergruseligsten Formen Anlass zu grüblerischer Nachdenklichkeit geben. Der Vielstirnfisch, ein grimmig gestimmter Tiefseegleiter, verzieht sein Gesicht zur grundhässlichen Fratze, als sei ihm gerade die Galle geplatzt, auf deren Unversehrtheit jeder geübte Angler zu achten gelernt hat, wenn er seinen Fang ausnimmt …