Monat: März 2022

Geiseln der Angst

Es ist derselbe Satz, mit dem der Schrecken wie die Freiheit Menschen für sich einnehmen: Schaut, sagen sie, was alles möglich wäre, indem ihr zunächst hinseht auf das, was wirklich geworden ist. Hier Drohung, da Versprechen; hier Schockstarre, da Tatendrang. So schnell, wie über die grenzenlose Brutalität territorialer Eroberung hinaus auf der ganzen Welt Herzen und Hirne von einem Phantasten der Gewalt besetzt und gefangen genommen worden sind, so gewaltig können Phantasien umschlagen, wenn die Angst ihr entgrenzendes Potential zur Befreiung entdeckt.

Der erfundene Feind

Wie viele Feindschaften sind schlicht erfunden, um in den Kampf ziehen zu können. Es ist der hilflose Versuch, einen letzten Anschein von Humanität zu wahren, wenn man die Aggression nicht durch sich selbst rechtfertigt, sondern ihr einen Auslöser andichtet. Letztlich aber braucht ein Verstand, der sich nur an kalte Zweckrationalität hält, keine Gründe, an denen er sich orientieren könnte. Vernünftig verdient der genannt zu werden, dessen Verstand sich vom Menschlichen leiten lässt. Oft ist der, dem man nachsagt, er habe seinen Verstand verloren, vielmehr ohne Vernunft.

Vom Sehen zum Tun

Die fünf Felder der Faktizität. Zugleich die fünf Angriffspunkte wider einen naiven Realismus:
1. Sehen, was sich zeigt.
2. Sagen, was man gesehen hat.
3. Hören, was gesagt ist.
4. Verstehen, was man gehört hat.
5. Tun, was man verstanden hat.

Bleib sachlich

Der Vorzug der Demokratie vor der Diktatur lässt sich vielleicht so beschreiben: Diese zwingt mich, jede Sache immer auch persönlich nehmen zu müssen, wohingegen mir jene erlaubt zu erwarten, dass auch das Persönlichste am Ende sachlich gewichtet werden kann.

Der absolute Feind

Gefährlicher als der Gegner, der alles gewinnen will, ist der, welcher absolut nichts mehr zu verlieren hat.

Lüge und Gewalt

Die Lüge entgrenzt die Gewalt, weil sie den einzigen Weg verbaut, Zugang zu finden zur Aggression und sie zu hindern, ohne selber brutal werden zu müssen: Sie stellt jedes künftige Gespräch unter den Verdacht, sinnlos zu sein. Die zerstörerische Gewalt wiederum schafft Fakten, über die nicht mehr hinweggelogen werden kann, weil ihr meist nicht gelingt, auch noch die Spuren auszulöschen ihrer vernichtenden Kraft, selbst wenn am Ende nur die Erinnerung bleibt: Sie lädt, ohne es zu wollen, mit Bedeutung auf, was verlorengegangen ist.

Verwöhnte Egobratzen

Nichts ist so egoistisch wie der als Lebensgrundlage etablierte Anspruch, sich wohlzufühlen. Ihm hat sich ein System gebeugt, das in wiederholten Feedbackrunden erfragt, ob dem so sei, und nicht mehr nach dem Notwendigen sucht, sondern sich orientiert an den persönlichen Bedürfnissen und, in scheinbarer Sachlichkeit, an dem, was mit einem künstlichen Plural versehen, im dienstbeflissenen Jargon „Bedarfe“ heißt.