Monat: März 2022

Verhandlungssicherheit

Das größte Problem in Verhandlungen ist nicht, die Position des Gegners zu überwinden, sondern das eigene Misstrauen in dessen Absichten. Jedes Ergebnis, in das beide Parteien eingewilligt haben, ist nur in dem Maße tragfähig, wie geglaubt wird, dass sich alle an die Vereinbarungen halten. In keiner anderen Dialogform zeigt sich das Verhältnis von Wort und Tat so fragil wie in einem klärenden Verfahren, das einen Konflikt zu schlichten beabsichtigt. Weniger als der erzielte Kompromiss entscheidet über den Erfolg, ob sich an ihn eine vertrauensvolle Kommunikation anschließen lässt. Verhandlungen loten stets aus, was jenseits von ihnen noch geht. Sie enden mit einem Anfang.

Anleitung zum Klugsein

Kenntnis ist noch keine Garantie, klug zu sein. Man kann auch aus Erfahrung dumm werden. Und nicht zuletzt mangels Erfahrung überlegt handeln und verständig überlegen.

Gleichgewicht der Kräfte

Das Glück in der Liebe ist ein Gleichgewicht der Kräfte, durch die sie sich lebendig erhält. Dass einer mehr liebt als der andere, dass eine größere Sehnsucht verspürt nach Nähe, dass dieser schweigt, wo jene reden will, dass hier Gemeinsamkeit die unfragliche Voraussetzung ist, selbstständig Interessen zu verfolgen, und dort sich der Zusammenhalt erst bildet aus der Freiheit von Eigenwilligkeit, dass ihr Andeutungen laut genug erscheinen und ihn Klarheit und Logik leiten in seiner Kommunikation …, all diese Nuancen und Differenzen bereichern und gefährden Beziehungen im selben Maße. Gleichgewicht der Kräfte bedeutet, überall dort, wo das Risiko lauert, einen immer noch größeren Vorteil für das Gemeinschaftliche entdecken zu können.

Ratlose Berater

Der letzte Schritt in einem Beratungsverhältnis ist stets der des Klienten. Nur wenn er gelingt, waren Gespräch oder Hilfe, Empfehlung wie Analyse sinnvoll und wertvoll. Mit ihm gerät der Einfluss an eine unüberwindliche Grenze, an der sich entscheidet, ob Entschlüsse und deren Folgen fremd erscheinen, Einsichten hohl, Lebensweisen erfüllt, Erfolge zwangsläufig. Dieser letzte Schritt heißt Aneignung und nicht: Übernahme. Er bedeutet, dass der Rat verwandelt wird in eine Ausdrucksform der eigenen Persönlichkeit, die sichtbar selbstverständlich ist, weil verstanden, wie sich in biographische oder unternehmerische Zusammenhänge einfügen lässt, was von außen zugetragen und beigetragen wurde.

Hass erfüllt

Bei manchem ist die Gier nach Anerkennung so groß, dass nichts genügen könnte, um sie zu befriedigen. Ihm bleibt nur der kalte Hass, ein letztes Gefühl vor der Fühllosigkeit. Er beantwortet das empfundene Versagen aller angesichts einer unermesslichen Sehnsucht nach Geborgenheit und sozialer Akzeptanz, nach einem Ankommen im Zuhause, das niemand kennt, indem er sie straft mit der freudlosen Freude an ihrer Vernichtung. Kein Motiv, nach Macht zu streben, ist größer als dieser ewig wunde Wunsch, wertgeschätzt zu sein. Kein Hass tiefer als der, den letztlich auch die Macht enttäuscht hat, in dem sie ihm den Respekt nicht verschafft, den er sich von ihr erhofft hat.

Anfang vom Ende

Wenn für einen der Gegner die Lage aussichtslos ist, deutet zwar alles auf ein Ende des Kriegs. Aber nichts auf eine Entscheidung zugunsten der überlegenen Partei. Es beginnt allenfalls die gefährlichste Phase der Auseinandersetzung, in der die letzten Vernunftreste von Verzweiflung aufgezehrt werden. Sie ist – zwar nicht mehr fähig zu gewinnen, jedoch – in der Lage, den Sieg der anderen zu verhindern, indem sie in den Untergang mitreißt, was ihm entkommen zu sein sich dünkt.

Prüfstein

Die härteste Prüfung der Belastbarkeit einer Idee ist, für sie werben zu müssen.

Das Ende ist nicht der Schluss

Eine Sache zu Ende zu denken, bedeutet, sich zu überlegen, was danach kommt. Der Weisheit letzter Schluss, der nur in seiner Negation sprichwörtlich geworden ist, spielt auf den Anschluss an, den jede Reflexion fordert. Nach jeder Entscheidung folgt prinzipiell die Frage: Und nun? „Auf das Ende einer jeden Sache muss man schauen“, so lässt es Herodot den lebensklugen Solon sagen, als Mahnung an König Krösus.* Und spart aus, dass die Betrachtung der Folgen folgenreich ist. Man nennt das Strategie, die sich stets zwischen den beiden Extremen der Vernichtung oder der Selbstzerstörung verortet und in dem Maße brillant ist, wie sie es darauf nicht ankommen lässt.

* Historien des Herodot, 1,32,9

Kultivierte Lust

Liebe ist die Kultivierung der Lust durch Geduld.

Denken gegen Handeln

Man kann Denken und Handeln auch als zwei Gegner ansehen, die in ständigem Wettstreit zueinander stehen um die elegantere, tiefere, schnellere Bewältigung von Welt. Beide haben ob ihrer vielfältigen Talente den Hang, sich selbst zu ernst zu nehmen, zu verabsolutieren. Ein Denken ohne die Widerlegung durchs Tun bliebe in sich selbst so gefangen, dass es zuletzt Wirklichkeit als eigene Erfindung betrachtete; ein Handeln ohne Reflexion verlöre sich in einer Realität, die sie nur noch als Gestaltungs- und Veränderungsauftrag anerkennte.

Die drei Phasen der Einsamkeit

Nicht selten beginnt Einsamkeit mit dem verklärten Gefühl, sich gegen eine Mehrheit behaupten zu müssen, als Heroismus, der sich in der Idealvorstellung an die unerreichte Spitze einer Bewegung gesetzt sieht. Ohne die Korrektur durch ein Gegenüber kippt sie in den Totalitarismus, der als verwünschte Einsamkeit sich genau so lang an der Macht hält, wie die Erfahrung, den anderen enteilt zu sein, noch nicht zur letzten Konsequenz der Selbstzerstörung geführt hat: dem Nihilismus. Dann wird Einsamkeit höllisch.

Lieferengpass

Schon zu Zeiten, da er noch Kandidat für das Amt des Ersten Bürgermeisters in Hamburg war, ist der Bundeskanzler selbstbewusst mit Varianten des Satzes aufgetreten, die er auch in jüngerer Zeit wiederholte: Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch. Er könnte so etwas wie sein Wahlspruch sein. Die Order ist, man muss vor allem am Ende dieser Woche daran erinnern, inzwischen millionenfach eingegangen. Ist das Lagerregal leer, oder gibt es Probleme mit der Lieferkette?

Wenn die Realität zu nah kommt

Vielfach und auf verschiedene Weise erscheint Wirklichkeit als das, was Menschen begegnet. Das mag in Form einer Überraschung geschehen, als Wunsch- oder Erwartungserfüllung, im härtesten Fall als scharfe Konfrontation. Da zwingt sie, zu ihr Stellung zu beziehen, weil man ihr nicht entkommt. Selbst der Feige wird enttarnt als Realitätsflüchtling, der nie ankommt, und der Mutige in seiner Angst ertappt. Denn das ist Mut: die Angst, die sich selbst überwunden hat, bevor sie ans Werk geht, Welt zu bezwingen.

Peinlich

Wenn eine Handlung ihren Ort verliert, gerät sie in die Gefahr, zu verstören. Niemand grölt beim Kirchengesang; ein Lied im Stadion sanft anzustimmen, treibt die Spieler nicht an. Nirgendwo hinzugehören, bedeutet für ein Tun, dass es den Anschluss verloren hat. Es bezieht sich nicht auf das, was ihm vorausgegangen ist, wie auch umgekehrt ihm nichts folgen muss. Letztlich ist es nicht kommunikativ, denn Kommunikation ist die Suche nach bedeutsamer Anschlussfähigkeit. Wir nennen das blamabel. Es ist zutiefst peinlich für ein Parlament, wenn es seiner Pflicht, Probleme kommunikativ zu bearbeiten, nicht in der Lage ist nachzukommen.

Wissensunterschiede

Du kannst nicht Menschenkenner sein, ohne Menschen zu verstehen.

Krisensprech

Sprachlich zeichnen sich Krisen durch den übermäßigen Gebrauch bestimmter Wörter aus, für die es keine Äquivalente gibt, weil sie genau bezeichnen, was Sache ist. Tag für Tag wiederholen wir sie und hoffen, dass sie sich dennoch nicht abnutzen. Es sind nicht selten große Begriffe wie Vernunft, Angemessenheit oder Mäßigung, Wahrheit, das Gebot der Stunde, Frieden. Man kann nur hoffen, dass sie aushalten, wieder und wieder als Appell eingesetzt zu sein, für niedere Zwecke instrumentalisiert, verbogen oder gebrochen zu werden, und sich alsbald von uns erholen können.

Die Iden des März

Am 15. März, den berühmten Iden, starb vierundvierzig Jahre vor der Zeitenwende durch Christus jener Staatenlenker, dessen Tötung zum literarischen Prototypen eines Tyrannenmords geworden ist. Der amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder hat Julius Cäsar die Ahnung seines Endes in einem fiktiven Tagebuchbrief dokumentieren lassen, indem dieser die Tat seines Kontrahenten verklärt zur Konsequenz klugen und tugendhaften politischen Handelns: „Wäre ich nicht Caesar, ich würde nun Caesars Mörder.“* In diesem Satz ist die versteckte Verzweiflung jeder Herrschaftsform formuliert, die ihre eigene Grenze nicht aus sich selbst heraus setzt. Sie braucht ein paradoxes Gefühl, das Wilder in Analogie zur selbstlosen Liebe den selbstlosen Hass nennt und das in der Figur des Brutus die Brutalität dieses Augenblicks, in dem Liebe und Hass sich in der Selbstlosigkeit vereinen, anschaulich macht. „Vielleicht werde ich in jenem letzten Augenblick in das Gesicht eines Mannes schauen dürfen, dessen einziger Gedanke Rom ist, und der nur daran denkt, dass ich der Feind Roms bin.“** Es gehört zu den tragischen Aspekten des Endes, dass es gerade dann, wenn es rechtzeitig gekommen zu sein scheint, den Wunsch nach Verlängerung aufbrechen lässt, und sonst als zu früh oder zu spät nie gewaltlos anmutet.

* Thornton Wilder, Die Iden des März, 266
** AaO. 268

Ich habe da so ein Gespür

Im Unterschied zu Urteilen, die sich am Gegebenen zu orientieren versuchen und in ihrer einfachen Variante sich über den Verweis auf Tatsachen belegen lassen, sehnen sich Vorurteile nach sozialer Bestätigung. „Nicht wahr?“ so lautet der stillschweigend angehängte Nachsatz, der nach allem forscht, nur nicht nach Wahrheit. Und doch bedarf es dieses schnellen, ersten Gespürs, um sich unmittelbar zurechtzufinden in einer Welt zwiefältiger und zweifelhafter Eindrücke. Allerdings, und das wusste schon der Voraufklärer Helvétius, kommt alles an auf den zweiten Blick, den kritischen: „Die Meinung, sagt man, ist die Königin der Welt … Aber was hat diese Tatsache mit der Macht der Wahrheit gemein?“*

* De l’homme II, 294

Die totalitäre Welt, die freie Welt

Aus einer Sonntagslektüre:
„Die totalitäre Welt ist schwach nach innen und stark nach außen. Denn nach innen kann sie ihre Herrschaft nur durch Terror bewahren. Nach außen aber kann sie auf dem Boden der freien Welt unter Nutzung der dieser Welt eigenen Regeln durch die totalitären Methoden einheitlich geführter, mit gewaltigen Mitteln ausgestatteter Planung sowohl ihre Propaganda treiben wie subversive Organisationen bilden. Jener Propaganda kann die freie Welt allein durch ihre geistige Kraft aus dem Ethos ihres Prinzips Herr werden, indem sie sie am Ende wirkungslos versanden läßt … Sie darf nicht die Methoden des Totalitären selber gebrauchen; denn dadurch würde sie ihr eigenes Wesen zerstören.
Die freie Welt ist stark nach innen und schwach nach außen. Ihre Stärke nach innen beruht auf der freien Zustimmung und Mitwirkung der Bevölkerung. Ihre Schwäche nach außen liegt in der Zerspaltenheit der freien Staaten untereinander und in dem Mangel einheitlicher Konzentration aller Kräfte auch in jedem einzelnen Staat. Sobald die freie Welt von außen im ganzen angegriffen wird, ist sie zunächst unterlegen, weil sie nicht in sich zusammengefaßt zu solchem Kampf gerüstet und bereit ist. Sie braucht dann Zeit, um ihre überlegene potentielle Kraft für solchen Augenblick erst zu entwickeln. Sie könnte verloren sein, wenn ihr diese Zeit nicht gewährt wird.“*

* Karl Jaspers, Die Atombombe und die Zukunft des Menschen, 163

Der erfolgreiche Unternehmer

Unternehmer: die Mixtur aus Selbstausbeutung und Hochstapelei.

Spielregeln

Ein Spieler, der sein Spielen so weit treibt, dass er alles aufs Spiel setzt, hat ausgespielt. Spielverderber zu sein ist geboten in dem Augenblick, da man nicht mehr weiß, welches Spiel mit einem gespielt wird und ob darunter überhaupt eines ist, bei dem es sich mitspielen ließe.

Ich habe es immer schon gewusst

Gestern verspottet und heute ein Prophet, das ist das Los dessen, der gestern sagte, was sich heute ereignet. Gewissen und Gewissheit sind immer rückwärtsgewandt, da mag das Wissen noch so sehr nach vorn gerichtet sein.

Die Unsichtbarkeit der Macht

Jede Macht ist wirksam in dem Maße, wie ihr unsichtbarer Anteil von denen noch geglaubt wird, die sich von ihrer Ausübung betroffen wissen. Allzu groß darf die Gewalt nicht sein, mit der sich Macht durchzusetzen versucht, weil in der enthemmten Brutalität die Verzweiflung sich zeigt, dass anders Herrschaft sich nicht zu etablieren vermag. Zur Demonstration von Stärke gehört wesentlich die Andeutung; ihr Risiko ist stets die Anwendung, in der erkennbar sein könnte, dass sie ihr eigenes Potential nicht ausschöpfen kann.

Versagte Anerkennung

Gewalt ist meist das letzte Mittel, dauerhaft versagte Anerkennung doch noch zu erringen, zwar nicht als Wertschätzung, aber als verängstigte Aufmerksamkeit, die mit Hohn erwidert wird.