Monat: Januar 2025

Autokratie und Demokratie

Demokratie: Freiheit instrumentalisiert die Macht.
Autokratie: Macht instrumentalisiert die Freiheit.

Faulig

Es gibt ein einfaches Kriterium, nach dem eine Übereinkunft zwischen heftig widerstreitenden Parteien als geglückt bezeichnet werden kann: Der Kompromiss ist so lange kein faul(ig)er, wie er diejenigen nicht kompromittiert, die ihn geschlossen haben. Es scheint, dass das in demokratisch verfassten Gesellschaften politisch immer seltener möglich sein wird.

Sei anständig

Der erhobene Zeigefinger, gelegentlich auf den politischen Gegner gerichtet, zeugt von der Verlogenheit der Anstandsgeste in einem Betrieb, in dem die hohen Prinzipien dem Zwang zur Pragmatik noch stets geopfert werden. Wer die Politik moralisiert, politisiert die Moral. Beides verträgt sich nicht instrumentell, seit lange Kriege geführt wurden, nur weil man sich dem Gegner so in der Wahrheitserkenntnis überlegen dünkte, dass man ihn kurzerhand zum Feind erklärte. Der Vorwurf der Unanständigkeit hat oft etwas Hilfloses, inszeniert wie im Schwarzweißfamilienfilm, wenn der knöchrige Opa nach dem Jungenstreich wütend mit dem Stock in der Luft herumfuchtelt, auch wenn er als Ordnungsruf zur Geschäftsgrundlage zurückführen will. Und gar nichts Erhabenes, gerade weil mit ihm einer sich über den anderen erhebt. Im Politischen gilt, dass solcherart Urteile dem Beobachter, und letztlich dem Wähler, überlassen bleiben sollten. Sie könnten sonst unversehens zum Bumerang werden.

Ober sticht Unter

Für den Narzissten ist die Ordnung der Welt ganz einfach: Sie ist hierarchisch. Und Oben ist, wo er steht.

Nach dem Sturm

Der Sturm, der mit Orkanstärke über die Insel gefegt ist, hat sich gelegt. An einen Spaziergang am Meer war in den naturgewaltigen Tagen davor nicht zu denken. Zu wild, zu mächtig blies das Wetter seine Backen auf und pustete das Zeug, das sich nicht mehr halten konnte, über die Weiden, ausgerichtet wie an einer straffen Schnur: Mülltonnen, die nicht beschwert waren, Kunststoffkanister, Unrat, Sand, den Weihnachtsschmuck, der sich vom Baum vor der Tür gelöst hatte, Papierfetzen. So mancher war auf das Eiland gekommen, um in den ruhigen Tagen den Kopf zu klären. Nun saß er am Kachelofen und schaute trübe ins tobende Trübe. Ob die Gedanken heller geworden sind? Vielleicht nicht, aber in jedem Fall wesentlicher. Was das heißt? Sollte man es vergessen haben, so weiß man wieder, worauf es einem ankommt. Wenn die Weite unerreichbar ist, öffnet sich die Tiefe: für die einen als Abgrund, den anderen als Fundament.

Das Ende der Gewalt

Man muss es leider so sagen: Erst, wenn Gewalt keine Nachricht mehr wert ist, wird die Macht jener aufhören, die mit ihr Angst und Schrecken einzujagen versuchen. Es ist der Moment, in dem Menschen nichts mehr zu verlieren haben. Und sich entscheidet, ob sie sich verloren geben.

Übergangszeit

Aus einer Neujahrslektüre

Heute zwischen Gestern und Morgen

Wie Gestern und Morgen
sich mächtig vermischen!
Hier ein Stuhl – da ein Stuhl –
und wir immer dazwischen!
Liebliche Veilchen im März –
Nicht mehr.
Proletarier-Staat mit Herz –
Noch nicht.
Noch ist es nicht so weit.
Denn wir leben –
denn wir leben
in einer Übergangszeit –!

Geplappertes A – B – C
bei den alten Semestern.
Fraternité – Liberté –
ist das von gestern?
Festgefügtes Gebot?
Nicht mehr.
Flattert die Fahne rot?
Noch nicht.
Noch ist es nicht so weit.
Denn wir leben –
denn wir leben
in einer Übergangszeit –!

Antwort auf Fragen
wollen alle dir geben.
Du mußt es tragen: ungesichertes Leben.
Kreuz und rasselnder Ruhm –
Nicht mehr.
Befreiendes Menschentum –
Noch nicht.
Noch ist es nicht so weit.
Denn wir leben –
denn wir leben
in einer Übergangszeit –!*

* Kurt Tucholsky als Theobald Tiger, in: Gesammelte Werke 1932, Band 10, 90f.