Monat: Februar 2025

Weltpolitik

Die Weltpolitik ist derzeit verdichtet auf die körperlichen Gesten des Tätschelns und Getätscheltwerdens, der wechselseitigen Schmeicheleien und nicht zuletzt auf die alles entscheidende Frage: Bist du für mich oder gegen mich? Bei so viel Persönlichem ist die sachliche Position fast irrelevant und jederzeit, wen kümmert‘s, widerrufbar. Das ist die große Chance derer, die alle Hoffnung auf eine stabile Weltordnung schon aufgegeben haben wegen verrücktester Drohungen und Forderungen. Das Gegenteil könnte morgen schon wieder der Fall sein.

Die nervöse Gesellschaft

Man erfährt viel über den nervösen Zustand einer Gesellschaft, wenn fast jeder auf die Frage, wie es ihm gehe, antwortet mit einem Verweis auf die unsichere Weltlage. Das persönliche Befinden ist zu einer Funktion der politischen Bedingungen geworden. Es wäre allerdings ein Missverständnis zu meinen, die Mehrzahl der Menschen hätte sich politisiert. Denn diese Umstände gelten nicht als Schauplätze künftiger Veränderungen, sondern werden erfahren als erlittenes Schicksal.

Das Ziel des Karrierewegs

Am Ziel eines Karrierewegs, gleich ob oben oder unten, wenn der Aufstieg ans Ende gekommen ist oder der Fall gestoppt, Erfolg wie Misserfolg haben stets denselben Begleiter. Sein Name ist Einsamkeit.

Das Geschenk der Sprache

Einer der schönsten Sätze, die über das Geheimnis, das wir Seele nennen, gesagt worden ist, stammt vom Philosophen Alfred North Whitehead. Er meint, „dass die Seele des Menschen ein Geschenk der Sprache an die Menschheit ist“*.

* Denkweisen, 82

Starkes Recht

Zivilisiert zu sein bedeutet, auf das Recht des Stärkeren verzichtet zu haben zugunsten der Stärke des Rechts.

Politikwechsel

Künftig müssen, statt aus dem Erstaunen Einsichten zu gewinnen, die richtigen Erkenntnisse aus dem Erschrecken gezogen werden. Das einzige Kriterium, wie gut eine Politik ist, wird nicht mehr ihr Möglichkeitssinn sein, sondern ihr Wirklichkeitsverständnis. Ob sie sich erfolgreich durchsetzt, entscheidet sich an ihrer Fähigkeit, Wahrheit als zumutbar anzusehen, und nicht allein über Erträglichkeit zu bestimmen, was zu sagen und zu tun geboten ist. Alles kommt darauf an, dass das Unpopuläre nicht mehr das Monopol der Populisten bleibt.

Wir gegen Die

Aus einer Samstagslektüre

„Das Spezifikum der populistischen Parteien und Bewegungen ist zunächst auf der Ebene der politischen Form auszumachen. Der Populismus geht von einem ,alternativen‘ Modell der Demokratie aus, das nicht die liberale Demokratie ist, sondern die antiliberale Demokratie. In der politisch bisher dominanten Sicht, welche die westlichen Gesellschaften seit 1945 geprägt hat, sind Demokratie und Liberalismus miteinander verkoppelt. Der politische Grundkonsens von den linken Sozialdemokraten bis hin zu den rechten Konservativen geht davon aus, dass die Demokratie als Herrschaft des Volkes mit liberalen Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und checks and balances zwischen den Institutionen verknüpft sein muss. Die Grundannahme ist hier ein unhintergehbarer Pluralismus der modernen Gesellschaft, der im politischen System seinen Ausdruck finden muss. Ganz anders die Populisten. Sie vertreten grundsätzlich das Modell einer antiliberalen Demokratie, in der sich der Volkswillen unmittelbar und ungebrochen in der Politik ausdrücken soll. Die Populisten beanspruchen daher einen Alleinvertretungsanspruch auf das, was ,das Volk‘ will. Der Pluralismus, die Moderation zwischen verschiedenen Interessen, die ,Kompromissbildungen‘, wie sie für die liberale Demokratie typisch sind, erscheinen nun überflüssig und sind eher als Versuch zu werten, den eigentlichen ,Volkswillen‘ zu schwächen (daher auch die große Skepsis und Verachtung gegenüber den etablierten Medien). Kennzeichnend für den Populismus ist somit der Antagonismus ,wir gegen die‘: ,wir‘ als Ausdruck des Volkes –,die‘ als Bezeichnung für jene Eliten und Kosmopoliten oder auch für die Migranten, die ,dem Volk‘ fremd sind. Der Populismus muss das Volk somit homogen denken, als eine Art soziale Gemeinschaft.“*

* Andreas Reckwitz, Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne, 278f.

Wahlausgang

Wahlfreiheit bedeutet, sich gegen eine Prognose entscheiden zu können.

Fristenlösung

Unter allen Aufgaben, die mit dem Anspruch verknüpft sind, Menschen zu führen, ist dies die kniffligste: die Zeit zu synchronisieren. Entscheidungen, deren langfristige Wirkungen, erwünscht sind, schaffen kurzfristig unverträgliche Friktionen; besonnenes Denken und behutsames Handeln trifft auf panische Reaktionen; perspektivische Ausrichtung und strategische Klugheit muss sich auseinandersetzen mit Opportunismus und den Zwängen der Tagesaktualität. Jeder Beruf hat seine ihm eigene strukturelle Schuld. Manager zu sein bedeutet, das eine oder das andere tun zu müssen im Wissen, das eine ohne das andere nicht tun zu können. Oder umgekehrt.

Wahnsinn, der Methode hat

Zur Methode des Wahnsinns gehört, dass er zwingt, seinen Falschaussagen entgegenzutreten, so dass all der Irrwitz, die Lüge und der Unfug durch ernste Erwiderungen aufgewertet werden zu einer Position, die so von Belang ist, dass man sich mit ihr auseinandersetzen muss. Undenkbar in einer Medienwelt: Aber die beste Art, Ignoranz zu begegnen ist, sie zu ignorieren. Im Moment hat die Dummheit das Prestige errungen, dass über sie weltgeschichtliche Betrachtungen angestellt werden.

Rauf und Runter

Je komplexer die Fragen, desto schlichter die Antworten. Im Management: Gewinne rauf, Kosten runter. In der Politik: Bürokratie runter, Netto rauf. Im Leben: Steh auf, wenn du am Boden bist. In den Medien: Wer mit dem Boulevard im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihm im Aufzug nach unten. Im Sport: Der Zweite ist der erste Verlierer. Im Alter: oben fit, unten dicht.

Erhebt euch!

Vor fünfzehn Jahren hat das ehemalige Mitglied der Résistance, der Diplomat Stéphane Hessel, den Imperativ eines weltweiten Widerstands gegen den Finanzkapitalismus formuliert und mit ihm die Schwächung der allgemeinen Menschenrechte angeprangert: Empört Euch! So hieß das schmale Pamphlet, das vielfach gelesen und zum Anlass für Massendemonstrationen wurde. Wieder ist jetzt viel von Empörung die Rede, diesmal zornig gerichtet auf die amerikanische Administration und ihr machtpolitisches Streben. Dabei ist Empörung zunächst nichts als das unfreiwillige Eingeständnis einer Niederlage. Die anderen waren, so das stillschweigende Bekenntnis, schneller im Denken und Handeln, so dass erst einmal nur die schwache Form einer Reaktion bleibt: die moralische oder politische Verurteilung als Antwort auf eine Überrumpelung. Besser wäre die souveräne Entgegnung. Auf die implizite Aufforderung „Ergebt euch!“ müsste die Erwiderung selbstbewusst lauten: Erhebt Euch! Denn nicht alles, was angeboten wird, kann man sie auch bieten lassen.

Erschrecken und Erwachen

Selten nur, zum Glück, ist das Erwachen auch ein Erschrecken. Sie fallen in solchen Augenblicken zusammen, so dass die Entscheidung nicht lohnt, ob dieses die unmittelbare Folge davon ist, dass der frische Blick in die Welt zum Entsetzen Anlass gibt, oder eine Traumsequenz mit jenem Aufschrecken endet, das sie noch nachwirken lässt. Schaut man derzeit in innen- wie außenpolitische Szenen, so muss man verblüfft feststellen: Es gibt ein Erschrecken, auf das das Erwachen allzu spät erfolgt, oder gar auf sich noch warten lässt.

Was nicht geht

Wie immer wissen wir genauer, was nicht geht, anstatt präzise sagen zu können, was sein soll, und wie. Das hat schlicht damit zu tun, dass vor jedem Ja in der Regel ein Ausschlussverfahren stattfindet, das die angebotenen Möglichkeiten eingrenzt hin zu einer Entscheidung. Dennoch ist nicht selbstverständlich, dass sich aus der Negation eine Position ergibt. Das geschieht nur im höchst seltenen Fall einer strengen Alternative, von zwei sich wechselseitig ausgrenzenden Gegensätzen. Zum politischen Wahlkampf gehört die Auseinandersetzung mit dem Gegner. Problematisch wird er, wenn es dabei bleibt. Und die wichtigste Frage verlorengeht: Wer wollen wir sein? Wie wollen wir uns verstehen? Was verbindet uns? Worauf bauen wir? Und wohin wollen wir uns entwickeln?

Wenn, dann

Ein Wenn ohne ein Dann, soll in der Poesie das Verweilen im Status unerfüllter Sehnsüchte bedeuten. In der Prosa, die der Sprachlogik mehr gehorchen muss, ist das eine sinnlose Vorstellung. Die Bedingung fordert zwingend ihre Folgerung. Doch so manche Sehnsucht, von der sich von vornherein sagen lässt, dass sie nie gestillt sein wird, mag zwar unnütz und unergiebig sein. Das verhindert aber nicht, dass es sie beharrlich gibt.

Stark und schwach

Das, was die Demokratie stark macht, ist ihre größte Schwachstelle: dass sie eine Gesellschaft einen kann, ohne die Rücksicht auf den anderen aufgeben zu müssen. Autokratien opfern das Gebot der Rücksicht zugunsten des Prinzips der Einigkeit.

Ein Schriftsteller

Wer nicht an der Sprache leidet, ist kein Schriftsteller. Was aber bedeutet das: an der Sprache leiden? Es meint, ihren Anspruch, Welt wiederzugeben, im besten Fall: sie gar zu erfinden, nicht erfüllen können. Und dennoch dieses Ziel nie aufgeben zu können. Kein Wort reicht aus, um die Wirklichkeitsfülle wirklichkeitsgetreu nachzubilden, nicht ein einziger Satz sagt, was gesagt werden muss. Sie sind Verweise auf das Unausgesprochene und glauben nicht ans Unaussprechliche. Die Folge: viele abermalige Versuche, es zu besser behandeln, wieder ein Werk, das der Sache genauer zu entsprechen trachtet. Schriftsteller zu sein heißt: mit jedem Buch die Bedingungen und die Gründe für dessen Fortsetzung zu liefern. Bis irgendwann der Leser befindet: Es reicht. Das wird nichts mehr.

Du hast die Wahl

Vielleicht ist der wichtigste Grund, wählen zu gehen, ein negativer: Es gilt zu verhindern, dass jene gewinnen, die davon profitieren, dass viele nicht wählen gehen.

Nicht zu kaufen

Die Währung, durch die alles reicher wird, ein Reichtum aber, der sich nicht erwerben, nicht vererben lässt, sondern unverdientes Geschenk ist: Sinn.

Geschichtsfälschung

Aus einer Sonntagslektüre

„Mit dem Marxismus hat der Hitlerismus wenigstens eines gemein: den Anspruch, die gesamte Weltgeschichte aus einem Punkt zu erklären: ,Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist eine Geschichte von Klassenkämpfen‘, heißt es im Kommunistischen Manifest, und ganz entsprechend bei Hitler: ,Alles weltgeschichtliche Geschehen ist nur die Äußerung des Selbsterhaltungstriebes der Rassen.‘ Solche Sätze haben eine große Suggestionskraft. Wer sie liest, hat das Gefühl, daß ihm plötzlich ein Licht aufgeht: Das Verworrene wird einfach, das Schwierige leicht. Sie geben dem, der sie willig akzeptiert, ein angenehmes Gefühl von Aufgeklärtheit und Bescheidwissen, und sie erregen außerdem eine gewisse wütende Ungeduld mit denen, die sie nicht akzeptieren, denn als Oberton schwingt in solchen Machtworten immer mit: ,… und alles andere ist Schwindel.‘ Man findet diese Mischung von Überlegenheitsdünkel und Unduldsamkeit gleichermaßen bei überzeugten Marxisten und bei überzeugten Hitleristen. Aber natürlich ist es ein Irrtum, daß ,alle Geschichte‘ dies oder das sei. Die Geschichte ist ein Urwald, und keine Schneise, die man hineinschlägt, erschließt den ganzen Wald. In der Geschichte hat es Klassenkämpfe gegeben und Rassenkämpfe, überdies Kämpfe (und das häufiger) zwischen Staaten, Völkern, Religionen, Ideologien, Dynastien, Parteien und so weiter und so fort. Es gibt überhaupt keine denkbare Menschengemeinschaft, die nicht unter Umständen mit einer anderen in eine Konfliktsituation geraten kann – und irgendwann, irgendwo in der Geschichte auch geraten ist. Aber die Geschichte – das ist der zweite Irrtum in solchen diktatorischen Sätzen – besteht nicht nur aus Kämpfen. Sowohl Völker wie Klassen, um nur von diesen zu reden, haben weit mehr geschichtliche Zeit im Frieden als im Kriege miteinander verbracht, und die Mittel, mit denen sie das geschafft haben, sind mindestens ebenso interessant und historisch erforschenswert wie die Ursachen, die sie immer wieder einmal kriegerisch haben zusammenstoßen lassen.“*

* Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler, 109f.

Das Missverständnis der Mächtigen

Man muss nur lang genug mit der Angst regieren – mit dem Effekt, dass sich etwas bewegt –, bis die Angst selber regiert – mit dem Effekt, dass alles gelähmt ist.

Geheimnis

Die Liebe macht das Unsichtbare sichtbar, aber als ein Entrücktes.

Störgefühl

Allen Parteien ist trotz aller Unterschiede in den politischen Programmen eines gemeinsam: Bei der Lektüre ihrer Wahlschriften oder in der Vorstellung ihrer Kandidaten findet sich immer der eine Punkt, der trotz vieler vernünftiger Analysen und Vorschläge, die Probleme zu lösen, hier wie dort Anlass ist zu sagen – die kannst du nicht wählen. Und nun? Demokratie bedeutet, die Stimme zu erheben, wenn man meint, sie nicht abgeben zu können.

Wettrüsten des Wahnsinns

Die Welt im Zeitalter der imbalance of power, der Unwucht in den Machtverhältnissen: Irre überbieten sich täglich mit neuen wahnwitzigen Ideen, abseitigen Vorstellungen, absurden Aktionen, nur um im Wettstreit um den Superlativ des Sinnlosen ganz oben zu stehen. Es gibt nur eine Chance, aus diesem verhängnisvollen Kreislauf aus kritischen Kapriolen herauszukommen: Das Publikum muss sich gelangweilt abwenden.