Aufgeflammt, ausgeknipst

Aus dem noch ungeschriebenen Roman

Den ganzen Abend über unterhielten sie sich, als hätten sie sich jüngst erst gesprochen, obwohl sie sich seit Ewigkeiten nicht gesehen hatten, nicht der Terminhatz wegen, sondern schlicht aus Nachlässigkeit: Sie tauschten Belangloses aus, kommentierten das im letzten Augenblick verlorene Pokalhalbfinale, erzählten einander von blödsinnigen und ganz und gar überflüssigen Nachbarschaftsstreits oder erörterten die präzisen Vorteile elektronischer Kettenschaltung beim Rennrad. Ihrer Freundschaft, die aufs Selbstverständlichste währte, hatte das keinen Abbruch getan. Das kam immer mal wieder vor, dass jeweils einer sich ziemlich lang nicht meldete. So gingen die Stunden dahin; die zweite Flasche des Primitivo di Manduria, von sechzig Jahre alten Reben gewonnen, war fast leer.
„Sag mal“, hob der Freund an, „das letzte Mal hast du eine Saxophonspielerin erwähnt, ich glaube so war‘s. Ich weiß nur noch, dass sie in einem Fabrikloft gewohnt hat. Was ist denn daraus geworden?“
„Wie: daraus geworden? Habe ich irgendwas vergessen zu erzählen?“
„Nein, nein. Verzeih, ich bin neugierig. Das weißt du doch. Gibt‘s die noch?“
„Was heißt hier: geben? Die hat es nie gegeben. Der lange Abend in ihrer durchaus imposanten Wohnung, von dem ich wohl berichtet hatte, war ein einziger Irrtum. Peinlich zum Schluss. Ich bin ihr danach nur noch einmal, eher zufällig, über den Weg gelaufen. Wir trafen uns in der Einkaufspassage und sind für einen Espresso ins nächste Café abgebogen. Sie hat sich da als eine glatte Projektionsfläche entpuppt, selber scheint ihr die Substanz zu fehlen. Das hatte ich zunächst nicht bemerkt. Voller hohler Phrasen war sie, weißt du, in dem Stil: Das war mir total wichtig, dass du deine Gefühle gezeigt hast. Selber gibt sie sich dagegen aus, als könne sie nichts umhauen, kalt, fischig, undurchsichtig, was man nicht verwechseln sollte mit geheimnisvoll. Wie sich herausstellte, arbeitete sie lange als Projektmanagerin im Marketing eines Konzerns, wurde dann bei einem mittelständischen Logistikunternnehmen in den Vorstand berufen, als Kommunikationsexpertin. Und spinnt dort, hörte ich jüngst, fleißig Intrigen.“
„Das tut mir leid.“
„Kein Grund. Es gibt Geschichten, die es nicht wert sind, dass man sie erzählt. Wahrscheinlich hat man sie ja nicht einmal erlebt, obwohl man ein Teil von ihnen war. In jedem Fall, an dem Abend dachte ich noch: Da flammt was auf. Der endete, wie du dich vielleicht erinnerst, etwas unglücklich; die Stimmung war gekippt, so dass ich abrupt aufbrach.“
„Und dann hast du sie nicht mehr angerufen? Keinen neuen Versuch unternommen?“
„Na ja. Ich habe mich bei ihr noch einmal entschuldigt für den schmucklosen Abschied. Da ich sie nicht an die Strippe bekam, habe ich ihr eine Nachricht geschrieben. Reagiert hat sie darauf nicht. Und, ich gestehe, mir war es so auch lieber.“
„Klingt, als sei das, was aufgeflammt war, kurz danach wieder erloschen.“
„Ich würde eher sagen: ausgeknipst, nicht erloschen. Es begann wohl wie das Aufflackern einer Kerze, die man entzündet hat. Aber kurz danach hörte es schon wieder auf wie ein Deckenlicht, das man am Schalter ausgeknipst hat.“
Der Freund stutzte. Dann schmunzelte er, ein leicht boshaftes Lächeln huschte übers Gesicht: „So ist es wohl in den meisten Beziehungen. Der Anfang ist romantisch; das Ende ist technisch.“