Tag: 11. Februar 2017

Wutbürger

Der Wut wird metaphorisch zugeschrieben, dass sie blind sei, ungerichtet also, oft desorientiert, ohne Ziel und Klarheit. Über dieses trübe Gefühl finden sich allerdings derzeit so viele Menschen, dass sie politisch wirksam werden, ja Wahlen entscheiden können. Der Affekt beleidigter Empörung stiftet eine negativ orientierte Einheit, der sich populistische Montagsredner und rechtsnationale Parteien kalt kalkulierend annehmen, indem sie deren Unberechenbarkeit kanalisieren in einen dumpfen Widerstand gegen alles, was Gesellschaftsvielfalt und Weltvernetzung auszeichnet. Jede Wut schreit untergründig nach Anerkennung. Es hilft daher nichts, sie zu übersehen, zu diffamieren, klein zu reden. Aber sie kann „sehend“ werden, aufgeklärt über sich und das, was sie auslöst. Dann verwandelt sie sich im besten Fall in Zorn, in eine Auflehnung also, die einen Gegner hat (aber keinen Feind), die für ein größeres Ideal kämpft als ihr eigenes Recht (die Gerechtigkeit), die sich an der Vernunft orientiert (und nicht an dunklen Befindlichkeiten). Wer es mit der Wut nicht zu tun bekommen möchte, schon gar nicht politisch, sollte sich nicht zu schade sein, seinen Zorn zu artikulieren.