Monat: Februar 2022

Liebe Alle … Alles Liebe

In Sammelmails, die an Menschen sehr unterschiedlicher beruflicher oder Beziehungsrollen gerichtet sind, lautet die Anrede immer öfter: Liebe Alle. Das ist eine Verlegenheitsformel, die keinen vorziehen und niemanden benachteiligen will. Und die der Mühe um den genauen Status das Gleichheitsbemühen entgegenhält bis hin zur namenlosen Unbestimmtheit, der die Unverbindlichkeit nicht selten auf dem Fuße folgt. Wenn alle gemeint sind, muss sich keiner spezifisch angesprochen fühlen, so dass es nicht wundert, wenn sich viele aus dem umfassenden Dialog still verabschieden mit dem ebenso hohlen Gruß: Alles Liebe. Nichts ist so leer wie das, was alle und alles umfassen will.

Vergessene Ehre

Mit jedem Amt, das vergessen viele, ist ein bestimmtes Maß an Ehre verbunden. Je höher die Aufgabe, desto größer der Anspruch an den Charakter. Nun ist Ehre zunächst keine Auszeichnung, sondern eine Verpflichtung, letztlich der Aspekt eines Dienstes, der den Grad des Versagens bestimmt. „Ehre ist dies“, schreibt der Philosoph Hermann Schmitz: „Verdichtungsbereich rechtlich relevanter Scham sein zu können, aber nicht zu sein.“* Sie ist der Ort, an dem das eigene Missglücken auch persönlich sichtbar wird, nicht nur an dem, woran eine Handlung gescheitert ist. So selten ist der Augenblick daher nicht, an dem die Ehrenrettung identisch ist mit dem Rücktritt vom Amt.

* System der Philosophie. Der Raum 3, 62

Alle guten Gaben

In einer Welt, die in allem nach dem Zweck fragt, ohne immer schon den Sinn angeben zu können, verliert Großzügigkeit ihre Kraft. Kein Geschenk, dem nicht sofort ein Hintergedanke beigeordnet ist, der dem Spender Absichten und die Erwartung einer Gegenleistung unterstellt. Aus unbedarfter Hinwendung wird Herablassung zum Bedürftigen gemacht, die einen Gefallen sofort in ein Gefälle verwandelt und die Asymmetrie der Geste hervorhebt. Unsere Gegenwart kennt die Freigebigkeit kaum noch, deren Freiheit vor allem darin besteht, nichts zu erhoffen außer vielleicht Freude. Aber sie anonymisiert die Szenen der Wohltaten in der Spende, um sie dem Verdacht zu entreißen, eine versteckte Forderung zu enthalten. Jean Starobinski, der feine Beobachter der Ambivalenz sozialer Gesten notiert, dass das Wort „Nächstenliebe“ seinen Platz geräumt habe für das Wort „Solidarität“. „Es wird jedenfalls vorgezogen, weil es als Träger einer Gleichheits- und Gerechtigkeitsforderung ohne Herablassung erscheint, ausschließlich in der horizontalen Dimension.“*

* Gute Gaben, schlimme Gaben, 170

Sprachschlampen

Wer mit der Sprache schlampig umgeht, nimmt sein Leben nicht ernst. Sie ist das Größte, das wir haben.