Monat: April 2022

Selbstkontrolle

Es stimmt schon, dass Freiheit und Kontrolle sich weitgehend ausschließen. Sie ist vielmehr die treueste Verbündete des Vertrauens. Aber an einer entscheidenden Stelle kommt für sie alles darauf an, die Sache fest im Griff zu halten: Freiheit ohne Selbstkontrolle verliert sich selbst. Und heißt: Willkür.

Was möglich gewesen wäre

Das Drängen auf Klarheit und Eindeutigkeit bedeutet immer das Ende von dem, was noch möglich gewesen wäre.

Von Mensch zu Mensch

Seit alters gibt es kein größeres Entsetzen als das, was Menschen erfasst, wenn sie entdecken, dass Menschen einander Unfassbares antun können, und dabei erkennen müssen, wozu sie prinzipiell selber fähig wären. Nietzsche hat das berühmte Chorlied* der antiken Tragödie in die moderne Bodenlosigkeit übersetzt und den Blick als den urmenschlichen Akt, in dem wir uns offenbaren, in seiner abgründigen Tiefe vorgestellt: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“**

„Ungeheuer ist vieles, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch“, singt der Chor in Sophokles‘ Antigone (V. 332)
** Jenseits von Gut und Böse, Aphorismus 146

Strafmaß

Wenn Barbarei und hemmungslose Brutalität das Handeln bestimmen, erscheint kein Strafmaß der zivilisierten Welt so hoch, dass es ausreichte, das Sühneverlangen zu befriedigen. Und doch will Strafe die reflektierte Reaktion auf die Einsicht sein, dass Rachekreisläufe unterbrochen werden müssen, um eine Gesellschaft lebensfähig zu halten. Wohin mit dem Überschuss an Zorn, dem herzzerreißenden Schmerz der Verzweiflung, dem grenzenlosen Leid am Ungeheuren? Es gibt keine befriedende Antwort, nicht einmal in der Geste großen Mitleids, der Weltsolidarität. Aber die Ahnung keimt auf, dass solcherart Gewalt nur endet, wo sie sich entweder über zerstörerische Folgen von Gegengewalt selber erschöpft oder in einem so unwahrscheinlichen Akt von maßloser Vergebung aufgehoben sieht, dass er auch die größte Reue noch beschämt.

Dienstverhältnisse

Man kann Glaubwürdigkeit nur erlangen, indem man den Worten so dient, dass sie der Wirklichkeit dienen, die sie wiedergeben. In jedem Anspruch zu sagen, was Sache ist, steckt eine latente Fälschungsintention, schon gar, wenn er gebunden ist an die politische Macht, solche Sachen selber zu gestalten und zu verändern. Der hartnäckige Respekt vor einer Sprache, die ihre Ausdruckskraft nicht instrumentalisiert, um Weltlagen zu beschönigen oder Konfliktlagen coram publico verlogen zu beschwichtigen, zeigt unmittelbar ein Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung, das dem Ringen um Worte und dem Kampf um Klarheit stets den Vorrang einräumt vor der Präsentation von floskelhaften Scheinlösungen. Der Ernst herrscht über den Effekt.

Lass uns das ausräumen

Gelegentlich muss im Leben Ordnung geschaffen werden wie in den Räumen, in denen es seine Spuren wild hinterlassen hat. Nur dass man sich hier von lästigen Dingen trennt und dort Beziehungen sortiert. Ordnung ist der Name dafür, dass nicht alles aufgeräumt werden kann, sondern einiges auch ausgeräumt werden muss. Sie setzt ein, wenn Freiheit für einen Augenblick den Status wiedererlangt hat, Neues anzufangen.