Monat: August 2022

Erfahrungen mit der Erfahrung

Erfahrung mag klug machen, aber die Erfahrungen, die man mit der Klugheit macht, sind gelegentlich dumm.

Implodierte Größe

Man entlarvt einen Narzissten nicht, indem man ihm seine falsche Größe zu nehmen versucht. Er wird entzaubert in dem Augenblick, da ihm nicht mehr gelingt, sein Gegenüber zu erniedrigen. Grandios ist bei ihm nur der Aufwand, den er einsetzt, andere kleinzuhalten.

Meine Pappenheimer

Die meisten, die sich für Menschenkenner halten, verkennen, dass nur der Menschen kennt, der gar nicht erst versucht, sie zu durchschauen, weil nur so der genaue Blick verrät, dass Menschen zu kennen bedeutet, ihr Geheimnis zu achten.

Virtuosen des Zwischentons

Die ärgerliche Gewohnheit, politisch ungenau und unverbindlich zu reden, spiegelt sich wider in der hohen Kunst der Politik, Spielräume des Deutens und der Handlung jederzeit eröffnen und nutzen zu können. Es sind die zwei Seiten desselben Talents.

Deutscher Durchschnitt

Was beim Individuum niemand sich dauerhaft traute, wird zum akzeptierten Standard, sobald es um die Ansprüche an eine Gruppe geht, an das Publikum, die Schulklasse, Seminarteilnehmer oder Leserschaft: Da nimmt man die Langeweile der Wohlgesonnenen trotzig in Kauf, wenn nur der Dümmste irgendwas mitkriegt, auch wenn er es am Ende nicht begreift. Die Angst zu überfordern sorgt für eine ganze Didaktik des gefälligen Durchschnitts, für Lehrbücher und Anleitungen, prallvoll mit Trivialität. Und unterschlägt, dass stete Rücksicht aufs Mittelmaß das Niveau zuverlässig senkt.

Heiße Sache

Die entscheidende Bedingung für ein heißes Engagement in einer wichtigen Sache ist kühle Ignoranz an der richtigen Stelle.

Gewissen ohne Biss

Das Entsetzen, wozu Menschen fähig sind, wenn Hemmungen fallen, verdeckt die Frage, welche Fähigkeiten fehlen, damit nicht geschieht, was Schreckenstat genannt zu werden verdient, weil sie das provoziert, das sie hätte verhindern sollen: ein umfassendes Unbehagen. Das Gewissen, auch wenn es mehr ist als das restriktive „Über-Ich“ und als Orientierungsinstanz der Bildung bedarf, gerät in einer Welt, die Schuldfragen und mit ihr die Verantwortung ins Abstrakte zu delegieren gelernt hat, die die Instrumentalisierung von Menschen systemisch belohnt, nicht zuletzt Gewalt als medialen Aufmerksamkeitsanreiz verniedlicht, zu einem belächelten Minderheitenhandicap, dessen Bisse durch Gewöhnung stumpf zu schleifen sind. Wer nicht versteht, dass ein Gewissen geradezu an der Spitze kultureller Höchstleistungen steht, muss sich nicht wundern, dass sein verbreiteter Mangel auch die Barbarei wachsen lässt.