Tag: 17. Dezember 2022

Meiner ist größer

Das Pärchen sucht einen Baum fürs Fest und schlendert unentschlossen zwischen den mannshohen Fichten und den meterlangen Nordmanntannen hin und her. „Was soll’s denn sein?“ Seit ungezählten Jahren kennt der Verkäufer seine Stammkundschaft, die Gelegenheits- und Schnäppchenjäger, den einsamen Alten und eben die, die zum erst Mal Weihnachten zusammen feiern. Und noch nicht recht wissen, wie. „Schatz, schau mal“, ruft sie aus der Ecke mit den kurzgeratenen Gewächsen, „so ein kleiner ist doch auch süß“. „Der kommt mir nicht ins Haus“ erwidert er bestimmt. „Zu mickrig. Außerdem nadeln die Fichten viel zu schnell. Stimmt’s?“ Mit sicherem Griff packt der Verkäufer zu einer stattlichen Tanne, mindestens deckenhoch, eher was für Treppenhäuser und Foyers, und präsentiert sie ihm. „Das ist er. Ich bin sicher. Was sagen Sie?“ Das Pärchen schaut, sie verunsichert, er beherzt. „Meinst du nicht, dass unser Wohnzimmer zu klein …?“ Da hat er sie schon unterbrochen. „Gekauft. Den nehmen wir. Der ist ein bisschen wie ich: stark, groß, mit offenen und kräftigen Armen. Der passt.“ Sie will noch widersprechen, da hat er schon den Geldschein aus der Tasche gezogen. „Stimmt so“, sagt er, von sich und seiner Entscheidung fest überzeugt. „Wenn du dich da mal nicht täuschst“, meint sie nur leise, als hätte sein Entschluss längst größere Auswirkungen zu erwarten als nur die Frage, ob Kugeln und Lichterkette reichen für das mächtige Stück, das zu Hause wohl noch ordentlich eingekürzt werden muss.