Aus einer Sonntagnachmittagslektüre
„Ziel staatlichen Handelns sollte immer die Herstellung bestimmter Zustände sein, zu denen natürlich auch die Aufrechterhaltung der eigenen Handlungsfähigkeit gehört; aber es handelt sich um eine Perversion des Staates, die man sowohl in Despotien als auch in Demokratien antreffen kann, wenn seine Tätigkeit zum Selbstzweck wird und nicht mehr auf angebbare Aufgaben ausgerichtet ist. Um bestimmte Zustände zu erreichen, sind Einzelakte unabdingbar. … In der Tat sind aus Gründen sowohl der Praktikabilität als auch der Gerechtigkeit Einzelakte nicht ausreichend: Ein Vernunftwesen, das Allgemeinbegriffe bilden kann, drängt nach generellen Normen. Vielleicht könnte sich Macht alleine aus Einzelakten aufbauen; eine rechtlich verfaßte Macht kann das nicht: Generelle Normen, die eine größere Zahl von Fällen, im Idealfall sogar eine unbestimmte Anzahl umfassen, sind unverzichtbar. Aus ihnen allein jedoch könnte kein einziges Gebilde bestehen: Zur empirischen Wirklichkeit gehört Individualität, und sie ist mit generellen Normen alleine nicht zu bändigen. Die Unterscheidung zwischen genereller Norm und Einzelakt ist relativ, da es zwischen einer Norm wie ,Die Würde des Menschen ist unantastbar‘ und dem Befehl, strammzustehen, zahlreiche Zwischenstufen gibt (etwa allgemeine Weisungen); dennoch ist sie wesentlich, um die Differenz zwischen Legislative und Exekutive zu verstehen.“*
* Vittorio Hösle, Moral und Politik. Grundlagen einer politischen Ehtik für das 21. Jahrhundert, 638