Ausreden: Zu viele Worte sollen darüber hinwegtäuschen, dass man die richtige Sprache nicht gefunden hat.
Monat: November 2024
Die Gaben der Freiheit
Die höchste Form der Freiheit: sich hinzugeben.
Die niedrigste Form der Freiheit: sich aufzugeben.
Ohne Fehler
Menschen, die keinen Fehler machen, erscheinen als übermenschlich. Menschen, die keinen Fehler zugeben, erscheinen als unmenschlich.
Aus der Ferne
Es gehört zur Paradoxie des Zusammenlebens, dass Nähe durch Ferne entsteht und die Entfernung wächst, wenn die Nähe über die Maßen zunimmt.
Ich, Du, Wir
Nichts schafft so leicht ein Wir wie zwei Narzissten, die miteinander über ihr eigenes Ich reden.
Erlösung und Versöhnung
Religiosität bedeutet, mit der eigenen Kindheit, ganz versöhnt zu sein, ohne je von ihr erlöst sein zu wollen.
Eine nüchterne Beobachtung
Was ist Glück anderes als jener, meist kurze Lebensmoment, in dem der Mensch aufgehört hat, sich selbst zu beobachten.
Echte Gefühle
Das einzig echte Gefühl, mit dem wir uns nicht selbst betrügen können, ist die Traurigkeit.
Formvollendet
Nicht selten ist die formvollendete Geste ein scharfes Indiz dafür, dass der Inhalt fehlt: ein klar gegliederter, auf bestem Papier in angenehm zu lesendem Schriftbild ausgedruckter Aufsatz, der nichts sagt, das aber fehlerfrei; eine elegante Entschuldigung, die nichts bedauert, das aber aalglatt; ein Gruß, der sich im Superlativ selbst überbietet, vom Persönlichsten ins Allerherzlichste gesteigert, der Nähe und Zugewandheit anbietet, das aber tausendfach.
Wer hat recht?
Der Anfang vom Ende jeder bis dahin geglückten Kommunikation ist die implizite Frage: Wer hat recht?
Genau so
Was eine Theorie ist? Nichts als ein Ensemble von Wörtern, denen gelingt, eine Sache so zutreffend zu beschreiben, dass sich leichterdings einstimmen lässt in ein gemeinschaftliches „Genau so“. Bis dann die ersten Abweichungen, Fehler und Unstimmigkeiten auftreten, die zum Weiterdenken zwingen.
Zwecklos, zweckfrei
Im Denken nimmt die Philosophie jene Sonderstellung ein, die im Leben der Mensch* innehat: Zweck an sich selbst zu sein. Nichts ist nutzloser als die Frage, wozu Philosophie nützlich sei. Diesen Effekt mag sie haben, aber auf ihn zielt sie nicht. Im Gegenteil gehört zu ihr all das, was solche Fragen an, oft stillschweigenden, Voraussetzungen mit sich führen. „Höre ich die Frage Wozu Philosophie? greife ich – einem unweisen Rat des dubiosen Dramatikers Hanns Johst folgend – nach meinem Revolver, um festzustellen, daß ich keinen besitze“, schreibt der Philosoph Hans Blumenberg.**
* „Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, dass jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle.“ – Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 75
** Zu den Sachen und zurück, 13
Ich stehe hier, und könnte anders
Zivilcourage ist Mut zur Einsamkeit.
Im Umbruch
Vor bald fünfzig Jahren, am 20. Mai 1975, schrieb der Publizist Joachim Fest in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“:
„Es hat den Anschein, als fühle sich fast jedermann in diesem Lande, vom Gesetzgeber bis zur Kindergärtnerin, einem hektischen Reformdruck ausgesetzt. Im steten Bedürfnis, den eigenen Neuerungswillen zu beweisen, werden unzureichend durchdachte Programme verabschiedet, die entweder finanziell nicht gedeckt sind und folglich wieder rückgängig gemacht werden müssen … oder aber von nahezu sämtlichen beteiligten Gruppen abgelehnt werden … Der Vorzug ist kaum greifbar. Es soll nur alles anders werden.
Was sich da als Reformwille ausgibt, ist vielfach lediglich Unrast, die als Ressentiment gegen das Bestehende in Erscheinung tritt. In Umkehrung der berühmten Hegelschen These gilt das Wirkliche heute als unvernünftig, und das aus keinem anderen Grund, als weil es wirklich ist: modische Wegwerf-Mentalität, bezogen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Zahlreichen Reformideologen geht es denn auch weniger um die Verwirklichung des vernünftigen Neuen als vielmehr um den Bruch mit dem Überkommenen.
Angesichts der beispiellosen und pessimistischen Dynamik, die der zivilisatorische Prozeß entwickelt hat, liegt jedoch die Funktion des aufgeklärten Reformwillens eher darin zu bremsen, als fortzubewegen … Denn nicht das Bestehende muß verändert werden, sondern das Verkehrte. Das ist nur ein Gemeinplatz; aber gleichwohl kompliziert zu denken für alle.“*
* Wieder abgedruckt in: Joachim Fest, Nach dem Scheitern der Utopien. Gesammelte Essays zu Politik und Geschichte, 15f.
Recht und Rache
Es ist die Aufgabe des Rechts, das Ressentiment von der Macht fernzuhalten, damit es nicht in Rache sich verwandeln kann.
Beratungsniveau
Woran sich das hohe Niveau einer Beratung erkennen lässt? Sie nimmt die Unsicherheit und schenkt Entschiedenheit. Und die niedrige Qualität einer Beratung: wenn sie Entscheidungen vornimmt und Sicherheit vorgibt.
Lob des Dilettantismus
Der Baseler Geschichtswissenschaftler Jacob Burckhardt pflegte sich als „Erzdilettanten“ zu bezeichnen. Und sah darin einen notwendigen Vorzug in einer Welt, die damals schon, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, einen Grad von Spezialisierung in der Wissenschaft erreicht hatte, der dazu führte, dass so mancher „die Fähigkeit der allgemeinen Übersicht, ja die Würdigung derselben einbüßt, während er in allem Übrigen nicht einmal Dilettant, sondern Ignorant ist“*. Die Diagnose ist verblüffend: Der Wissenschaft fehlt es nicht an Tiefe, sondern an Oberflächlichkeit, um wieder tief zu werden.
* Gérard Raulet, Objektivitätsanspruch und historisches Erkenntnisinteresse, in: Cahiers d‘Etudes Germaniques, 2001, 7 – 36, 16
Haushaltsloch
Wie der Staat zu Geld kommt: Er muss nur das, was dem Bürger zusteht, an Leistungen, Erstattungen, Förderungen, von Bürokraten formulieren lassen, die Briefe schreiben oder Gesetze erlassen, welche keiner versteht. Das Potenzial ist da vielfach erkennbar, aber noch nicht ausgeschöpft.
Trost und Trotz
Zur Rationalität des Hoffens gehört, dass es nicht aufhört, wo das Wünschen vergeblich gewesen ist. Ihren Trost gewinnt die Hoffnung nicht aus der Erfüllung, sondern aus dem Trotz.
Nicht Verzweifeln am Zweifel
Der Zweifel, seiner Funktion beraubt, die nach der Belastbarkeit von Fakten und Aussagen sucht, ja auf sie zielt, ist als Skeptizismus deformiert nur noch die billige und blasse Methode, deren Beliebigkeit zu rechtfertigen. Das Etikett No challenge, das den Imperativ: Frag nicht so genau! vorträgt, um zu verstecken, dass auf eine Antwort niemand sich festlegen will, öffnet nicht den Spielraum der Interpretation, sondern deklariert implizit, dass am Verstehen kein Interesse besteht: Wir wollen es nicht so genau wissen.
Wahrheit und Lüge
In einem ist die Lüge der Wahrheit näher als der Verschleierung. Beide nehmen auf den Adressaten keine Rücksicht. Das ist das Unerträgliche einer Kommunikation, die sich tarnt als offenes Wort: dass sie Fakten wie das Gegenüber der Rede instrumentalisiert.
Die Leere der Machtpolitik
Aus einer Samstagabendlektüre
„Obwohl, oder vielmehr: gerade weil Macht das unvermeidliche Mittel, und Machtstreben daher eine der treibenden Kräfte der Politik ist, gibt es keine verderblichere Verzerrung der politischen Kraft, als das parvenumäßige Bramarbasieren mit Macht und die eitle Selbstbespiegelung in dem Gefühl der Macht, überhaupt jede Anbetung der Macht rein als solcher. Der bloße ‚Machtpolitiker‘, wie ihn ein auch bei uns eifrig betriebener Kult zu verklären sucht, mag stark wirken, aber er wirkt in der Tat ins Leere und Sinnlose. Darin haben die Kritiker der ‚Machtpolitik‘ vollkommen recht. An dem plötzlichen inneren Zusammenbruche typischer Träger dieser Gesinnung haben wir erleben können, welche innere Schwäche und Ohnmacht sich hinter dieser protzigen, aber gänzlich leeren Geste verbirgt. Sie ist Produkt einer höchst dürftigen und oberflächlichen Blasiertheit gegenüber dem Sinn menschlichen Handelns, welche keinerlei Verwandtschaft hat mit dem Wissen um die Tragik, in die alles Tun, zumal aber das politische Tun, in Wahrheit verflochten ist.“*
* Max Weber, Politik als Beruf, 52f.
Vom Scheitern
Mit diesem Wort, das so vernichtend klingt, wie die Sache ist, sollte man zurückhaltend umgehen. Selten scheitert einer, dem etwas nicht gelingt. In ihm steckt, wie es die Etymoloigie von Scheitern nahelegt, dass etwas zerstört wird, in Trümmern liegt, in Stücke – Scheite – gebrochen ist. Nicht jede Niederlage also ist gleich ein Scheitern; weil dieses voraussetzt, dass sehr viel mehr kaputtgegangen ist, als es der Verlust anzeigt, dem ein Fehlschlag vorausgegangen ist. Das Scheitern reicht über den Zusammenbruch, beispielsweise einer Koalition, hinaus. „Scheitern“ ist das Wort der Moderne für ein Ereignis, für das die Antike noch das Verhängnis kannte oder gar die Tragödie. Wenn das so ist, wäre Demut das einzig angemessene Verhalten auf ein Scheitern, auch derer, die aus einer vetrackten Situation vermeintlich einen Vorteil ziehen.
Sympathisch frech
Unter den Varianten der Frechheit, von neckisch bis dreist, ist jene die sympathischste, die nichts anderes ausdrückt, als dass einer Souverän der Situation ist, in der er gerade steckt.