Monat: Oktober 2024

Staat und Bürger

Wie die größte Tugend des Bürgers sein Engagement ist, so muss die größte Tugend des Staates genau dort die Zurückhaltung sein.

Der richtige Weg

Die Form des moralischen Urteils ist immer: Du bist auf dem richtigen Weg, aber der falsche Mensch dazu.

Total überfordert?

Die totale Überforderung, gäbe es sie, würde niemand bemerken. Schon die Fähigkeit, eine Situation als solche zu benennen, setzt voraus, dass ich ihr, zumindest begrifflich, gewachsen bin. Und dieses aufklärerische Talent zur Bezeichnung ist nicht selten der erste Schritt, der Überforderung zu entwachsen.

Gert Scobel hat das Thema behandelt:

Defensivverhalten

Das Selbstverständnis der Weltpolitik, zumindest derjenigen, die seit jeher westlich genannt wird, in der Defensive zu sein, beschränkt sich nicht aufs, sondern beschränkt das ihr Wesentliche: zu gestalten. Wir verteidigen die demokratischen Werte, wehren uns mit Zöllen gegen die Übermacht der chinesischen Industrie, loten aus, wie sich Koalitionen mit den Rechtsextremen blockieren lassen, kämpfen gegen Autokraten und deren Machtgelüste, fürchten die Neuordnung oder Auflösung wirtschaftlicher und militärischer Bündnisse. Aber haben wir auch eine Vorstellung, gar eine Idee, wie sich im 21. Jahrhundert Allianzen der Menschlichkeit, der Modernität, des Muts, des vermittelnden Maßes, das nicht Mittelmaß ist, bilden lassen, ohne sie zu definieren als Bewahrungs- und Verhinderungspakt? Wer vor allem sich behauptet, erklärt, rechtfertigt, kümmert sich um Vergangenes. Die Zukunft verlangt nach Würfen und Entwürfen, Strategien und Perspektiven, Risikolust und Angstfreiheit.

Netzwerk

Viele suchen Netzwerke auf, um bessere Geschäfte zu machen, anstatt durch das Geschäft jene Form von Vernetzung zu finden, die sich am leichtesten knüpfen lässt: die des Geldes. Nichts überwindet die Schranken behänder, nichts schafft lose Verbindungen eleganter als das Kapital in den Fingern von Kapitalisten.

Zum Abgewöhnen

Aus einer Samstagabendlektüre

„Die Zukunft gewöhnt man sich als Erstes ab.“*

* Michael Köhlmeier, Das Philosophenschiff, 84

Fang an mit dem, was andere für ein Ende halten

Man kann die finale Diagnose, überfordert zu sein, auch als Ausgangspunkt nehmen: Dann bewirkt sie Fortschritt.

Ideologielast

Ideologie heißt jene Theorie, die sich, fast narzisstisch, nur an sich selbst berauscht und von der Wirklichkeit sich nicht irritieren oder gar korrigieren lässt.

Motivsucher

Das gilt für jeden Motivsucher: Er hat die schlechten Absichten schon unterstellt, wenn er sich veranlasst sieht, nach den Antrieben zu forschen. Dumm nur, dass diese nie so offensichtlich sind, wie es bei einer Widerlegung angenommener Arglist notwendig wäre. Beweggründe können, im Unterschied zu den erklärenden Hintergründen, nichts beweisen. Wir kennen sie ja nicht einmal richtig.

Woher kommt der Lärm?

Lärm ist immer das Geräusch, das entsteht, wenn dem Willen zu viel Widerstand entgegengesetzt wird. Das gilt für den Baulärm, wenn sich das Material gegen die Umformung und Umgestaltung sträubt, genauso wie beim Kinderlärm, der aus dem unermüdlichen Bestreben erwächst, den anderen zu übertönen, ja zu übertrumpfen. Gegen Lärm hilft nur, noch lauter zu sein, oder der stärkere Gegendruck. Hier siegt die höhere Gewalt.

Recht und Moral

Die Aufgabe des Staates muss sein, dafür zu sorgen, dass es der Gebote nicht bedarf, weil die Gesetze ausreichen, um ihn zu lenken. In der Politik ist das Recht der Konkurrent der Moral. Handlungen können Haltungen zwar nicht ersetzen, aber das Interesse an diesen verschwinden lassen.

Die Lehren der Geschichte

Gerade weil Geschichte sich nicht wiederholt, gilt es, aus ihr zu lernen.

Sei spontan

Sei spontan, dieser Beispielsatz für widersprüchliche Kommunikation, der seinen Adressaten in die Verlegenheit bringt, aus einem Entweder – Oder (zu gehorchen oder einem Impuls unmittelbar zu folgen) ein Weder – Noch paradox abzuleiten (nicht zu handeln), dieser unmögliche Befehl, beschreibt alles, was das Schreiben oft ausmacht: die Disziplin aufzubringen, aufgefordert zu überraschen. Schreiben bedeutet, besonders dann von innen getrieben zu sein, wenn alle es erwarten.

Ganz schön groß

Größe – Großmut, Großherzigkeit, Großzügigkeit – ist die Bezeichnung für alles, was nur jenseits der Regel, und nicht durch sie, geregelt werden kann.

Das Wagnis des Vagen

Freundschaft ist der Name für die undefinierteste Form der Beziehung.

Im Widerstand

Die Erfahrung meiner eigenen Freiheit ist gerade nicht jener Moment, in dem sich der Wille maßgeblich durchsetzt, sondern jene andere, in der er auf Widerstand stößt, den er zu akzeptieren und an dem er sich abzuarbeiten hat. Am Anderen und dessen Willen zeigt sich, was es bedeutet, frei zu sein: die Verantwortung für ein Handeln zu übernehmen, das von diesem prinzipiell zur Rechenschaft gezogen werden kann. Freiheit ist eine dialogische Eigenschaft, die ich mir genauso zuschreibe, wie ich sie an einem Gegenüber wahrnehme.

Augenblicklich

Utopie für eine überforderte Welt: Eine Gesellschaft aufbauen über das verpflichtende Ritual, dem Anderen in die Augen schauen zu müssen.

Liebe und Angst

Was die Liebe bewirkt: Sie nimmt die Angst vor der Bedeutungslosigkeit.

Zu viele Antworten

These für eine Zeit, in der die Geschichtsphilosophie wieder Konjunktur hat:
Gesellschaften gehen zugrunde durch einen Mangel an Neugier.

Experimentierfreudig

Einen Essay schreiben bedeutet, den Versuch zu unternehmen, ein Thema zu fassen, das mehr als den einen Versuch braucht.

Generationenvertrag

Großes Glück: wenn über Generationen hinweg gemeinsames Lachen verbindet. Solange der Jüngste die Pointen des Alten lustig findet, ist noch nicht alles verloren. Und umgekehrt der Betagte im Heranwachsenden den gleichen Humor entdeckt.

Impulse der Veränderung

Über Wut und Zorn, Hass und Ressentiment bin ich im Gespräch mit Denise M’Baye und Sebastian Friedrich in der Sendung „Tee mit Warum“, produziert von NDR Kultur:
„Wut ist der Zorn der Hilflosen und diese düstere Hilflosigkeit drückt sich darin aus, dass ich nicht spreche, sondern schreie. Schreien heißt, dass die Individualität meiner Stimme verloren geht. All das, was eine Stimme auszeichnet. Dass sie sich abzeichnet, dass sie artikuliert, dass die Chance besteht, dass mein Gegenüber mich versteht. Das hat die Wut nicht.“

Leserschaft

Leser eines Buchs bilden eine Gemeinschaft, in der die Einzelnen einander nicht kennen.

Zeig dich mal

Der verdient, authentisch genannt zu werden, der genau weiß, was er wann von sich zeigen darf, und wo er es besser unterlässt.