Einen Essay schreiben bedeutet, den Versuch zu unternehmen, ein Thema zu fassen, das mehr als den einen Versuch braucht.
Monat: Oktober 2024
Generationenvertrag
Großes Glück: wenn über Generationen hinweg gemeinsames Lachen verbindet. Solange der Jüngste die Pointen des Alten lustig findet, ist noch nicht alles verloren. Und umgekehrt der Betagte im Heranwachsenden den gleichen Humor entdeckt.
Impulse der Veränderung
Über Wut und Zorn, Hass und Ressentiment bin ich im Gespräch mit Denise M’Baye und Sebastian Friedrich in der Sendung „Tee mit Warum“, produziert von NDR Kultur:
„Wut ist der Zorn der Hilflosen und diese düstere Hilflosigkeit drückt sich darin aus, dass ich nicht spreche, sondern schreie. Schreien heißt, dass die Individualität meiner Stimme verloren geht. All das, was eine Stimme auszeichnet. Dass sie sich abzeichnet, dass sie artikuliert, dass die Chance besteht, dass mein Gegenüber mich versteht. Das hat die Wut nicht.“
Leserschaft
Leser eines Buchs bilden eine Gemeinschaft, in der die Einzelnen einander nicht kennen.
Zeig dich mal
Der verdient, authentisch genannt zu werden, der genau weiß, was er wann von sich zeigen darf, und wo er es besser unterlässt.
Schweigen wie ein Freund
Die wichtigste Eigenschaft in der Freundschaft: Diskretion.
Mit Vernünftigkeit Staat machen
Aus einer Sonntagnachmittagslektüre
„Ziel staatlichen Handelns sollte immer die Herstellung bestimmter Zustände sein, zu denen natürlich auch die Aufrechterhaltung der eigenen Handlungsfähigkeit gehört; aber es handelt sich um eine Perversion des Staates, die man sowohl in Despotien als auch in Demokratien antreffen kann, wenn seine Tätigkeit zum Selbstzweck wird und nicht mehr auf angebbare Aufgaben ausgerichtet ist. Um bestimmte Zustände zu erreichen, sind Einzelakte unabdingbar. … In der Tat sind aus Gründen sowohl der Praktikabilität als auch der Gerechtigkeit Einzelakte nicht ausreichend: Ein Vernunftwesen, das Allgemeinbegriffe bilden kann, drängt nach generellen Normen. Vielleicht könnte sich Macht alleine aus Einzelakten aufbauen; eine rechtlich verfaßte Macht kann das nicht: Generelle Normen, die eine größere Zahl von Fällen, im Idealfall sogar eine unbestimmte Anzahl umfassen, sind unverzichtbar. Aus ihnen allein jedoch könnte kein einziges Gebilde bestehen: Zur empirischen Wirklichkeit gehört Individualität, und sie ist mit generellen Normen alleine nicht zu bändigen. Die Unterscheidung zwischen genereller Norm und Einzelakt ist relativ, da es zwischen einer Norm wie ,Die Würde des Menschen ist unantastbar‘ und dem Befehl, strammzustehen, zahlreiche Zwischenstufen gibt (etwa allgemeine Weisungen); dennoch ist sie wesentlich, um die Differenz zwischen Legislative und Exekutive zu verstehen.“*
* Vittorio Hösle, Moral und Politik. Grundlagen einer politischen Ehtik für das 21. Jahrhundert, 638
So grässlich hässlich
Menschen im hohen Alter, genauso wie in früher Kindheit, können nicht hässlich sein.
Trotzdem
Schreiben, wenn nichts ins Wort drängt, ist schwierig, aber nicht sinnlos. Man kann es auch der reinen Form eines Satzes überlassen, sich den Inhalt zu suchen. Da kann Überraschendes entstehen, das sich herausgebildet hat als Gedanke, der sich allein der Schönheit eines durchstrukturierten Gebildes verdankt. Zuerst kommt der Begriff, dann dessen Bedeutung. Der Kopf ist leer; trotzdem findet sich in der zufälligen Kombination irgendwelcher Ausdrücke ein Anspruch. So „arbeitet“ künstliche Intelligenz.
Statistisch gesehen
Mit dem Siegeszug der Statistik, nicht nur in den empirischen Wissenschaften, legt sich das Denken auf die faule Haut. Zahlen betrügen in die Bewertung. Was wahr, richtig, schön, wesentlich, gut genannt zu werden verdiente, wird gemessen. Es gab einmal eine Zeit, da galt das Maß als Orientierungshilfe, ja Kriterium für Qualität. In ihr bedeutete es eine Größe, die sich nicht beziffern ließ. Und deswegen nur mit Hilfe der Urteilskraft ermittelt werden konnte.
Erinnerungssüchtig
Nicht entschieden ist, ob ein Netz, von dem es heißt, es vergäße nicht, diesen Protokollierungszwang als Verheißung oder Drohung wirken lässt. Klar allerdings ist digitaler Unfug, in diesem Zusammenhang von Gedächtnis zu sprechen. Das Internet hat keine Erinnerung. Zu dieser gehört vielmehr, dass in dem Maße, wie sie etwas behält, anderes verloren gegangen ist. Denken bedeutet immer beides. Der Unterschied zwischen dem, was man entsinnt (besser: worauf man sich besinnt), und dem, was einem entfällt, markiert die erste Wertung des Bewusstseins, ohne dass diese schon identisch sein müsste zwischen „wichtig“ und „vernachlässigbar“.
Prinzipieller Pragmatismus
Pragmatisch heißen jene Menschen, denen man netterweise nicht nachsagen will, dass sie keine Prinzipien haben oder diese bei nächstbester Gelegenheit über Bord werfen.