„Mein Leben ist gerade vergnügungssteuerpflichtig“, sagt die Freundin offenbar bestens gelaunt. Aber der leichte Zweifel in ihrer Rede verrät, dass sie sich auch fragt, bei wem sie ihren Antrag auf Rückerstattung einreichen kann.
Kategorie: Allgemein
Doppelt gemoppelt
„Prinzip ist Prinzip“ – die einzige Tautologie, die durch Wiederholung einen Erkenntnismehrwert schafft. Grundsätze wollen nichts erklären.
Die richtige Adresse
Der vorweihnachtliche Bestellzettel, den das Kind dem heiligen Nikolaus mitgibt, verrät nicht nur die Wünsche der kleinen Seele, sondern in ihm steckt auch der feierliche Ernst, beim richtigen Adressaten für die eigenen Sehnsüchte gelandet zu sein, bei einer Instanz irgendwo zwischen den Eltern und Gott. Er verstärkt den Zauber und erhöht die Vorfreude. Jene Listen hingegen, die Erwachsene schreiben, um einander das Leben im Trubel des Geschenkekaufs zu erleichtern, entzaubern den Rest der adventlichen Stimmung und setzen den Erwartungsdruck ins Unermessliche. Im Falle, dass unterm Christbaum nicht liegt, was auf dem Blatt Papier leserlich notiert ist, gibt es keine Ausflucht, niemanden, dem man Nachlässigkeit oder gar höhere Absichten unterstellen kann, wenn er anderes bringt als das Erhoffte. Ein Jahr lang muss man damit leben, der falsche Adressat gewesen zu sein für die allzu deutlich artikulierten Träume.
Kein Blatt vor dem Mund
Ein Abend im Kreis von Zeitungsleuten. Das frühere, leicht dünkelhafte Selbstvertrauen scheint verschwunden zu sein, weggeblasen vom digitalen Sturm durch den Blätterwald. Da ist keiner, der die Nase nach vielerprobter journalistischer Art in den Wind hält, um zu spüren, was demnächst an der Zeit sein wird. Zwar wird nicht gejammert, aber man macht sich ernsthaft Sorgen um das eigene Produkt. Kann Print überleben? Lässt sich online Geld verdienen? Was ist zu tun, um die Qualität der Arbeit wenigstens halten zu können? Wer schreibt so schlecht, dass es der Abonnent nicht mehr verzeiht und kündigt? Plötzlich erhebt einer die Stimme: Er wisse schon, wie die Zeitung von morgen auszusehen habe, und beschreibt sie. Aber der Leser sei ein konservativer Zeitgenosse mit einem ausgeprägten Beharrungsvermögen im Gewohnten. Ob er diesen großen Schritt zur Veränderung mitmache? Ein anderer erwidert: Hat uns je der Leser interessiert? Für einen Augenblick ist die Runde entschieden, diese Haltung redaktioneller Arroganz nicht für die Ursache des Problems zu halten, sondern für dessen Lösung.
Dialektik der Eitelkeit
Kardinal Meisner am Ende des langen Interviews zum Nikolaustag im Magazin der F.A.Z. auf die Frage nach seiner Lieblingsfigur in der Weihnachtsgeschichte: „Ich liebe den heiligen Josef … Von ihm werden keine Worte berichtet, nicht ein einziges. Aber viele große Taten … Und darum muss ich seinen Lebensstil übernehmen: nicht mehr so viel reden …, sondern mehr tun.“ Die Dialektik war schon immer ein geeignetes Feld, die Eitelkeit als Bescheidenheit auftreten zu lassen und der Demut den Beiklang einer Drohung zu geben.
Doppelt geschlagen
Es liegt nicht allein in unserer Hand, wie wir über Niederlagen denken, vor allem über die eigenen. Nach dem missglückten Ausgang einer Sache, sei es einer Verhandlung oder eines Wettkampfs, sei es dass ein Lebensentwurf gescheitert ist, sind Erklärungen vonnöten. Sie werden erwartet, manchmal erzwungen. Niederlagen hält man nur aus, wenn das richtige Wort dazu gesprochen ist. Das zu finden, ist nicht leicht. Jeder Trainer, der das trostlose Gekicke seiner Mannschaft in der „dritten Halbzeit“ vor den Mikrofonen zu rechtfertigen hat, weiß, wie rat- und sprachlos man sich in solchen Situationen vorkommt. „Erzähl den Verlierern vom Ende der Sieger“, so geht ein Gedicht des Schriftstellers Wolf Wondratschek, das er 1979 verfasst hat. Es besteht aus nur einem Vers, dieser Zeile. Und enthält zwei Beschwichtigungsformeln für jene, die an einem Misserfolg leiden: 1. Erzählen statt urteilen. Schlimmer noch als die Niederlage kann das Urteil über sie sein, das nicht selten im Satz gipfelt: Du kannst nichts. 2. Offensichtlich gibt es bei den Siegern etwas, durch das auch Verlierer gewinnen können. Und das ist mehr als die Einsicht, dass auch die Sieger ein Ende haben. Zu unterliegen, kann schlimm sein. Aber im besten Fall macht es klug.
Me, myself and I
Das Ich ist eine sprachliche Konstruktion. Wir reden nicht nur anders, wenn wir uns in einer fremden Welt aufhalten: Wir denken auch anders in englischen, französischen oder gar chinesischen Begriffen. Und niemand müsste sich wundern, wenn wir so sprechend auch andere sind. Mancher hat in einem anderen Land ein deutlich kleineres Ego als Zuhause.
Blöde Variationen auf einen blöden Satz
Man sieht nur mit dem Herzen gut. (Antoine de Saint-Exupéry)
Besonders in der Kerzenglut.
Gleichwohl: Er nahm im März den Hut.
Ihm war nicht mehr zum Scherz zumut‘.
Sie schrie in einer Terz vor Wut.
Aus ihm brach raus die Schmerzensflut.
Zu teuer war der Nerz für Ruth.
Liebe zum Beruf
Zwei Freunde, im Gespräch über ihre Arbeit:
Der eine: „Was uns verbindet, ist, dass wir nur die Dinge wirklich können, die wir auch lieben.“
Der andere: „Da können andere mehr.“
Der eine: „Und deswegen weniger.“
Alternativlos
Die tiefe Verwunderung des New Yorker Kollegen über deutsche Hauptstadt-Journalisten, die die Bundeskanzlerin allesamt aufs Heftigste kritisieren – ideenlos, emotionslos, humorlos – und sie gleichwohl ausnahmslos gewählt haben, verdichtet seine feinsinnigen Beobachtungen zur Regierungsära von Angela Merkel in ein starkes Gefühl: Sie ist die wahre Kanzlerin der Einheit, weil sie es geschafft hat, jeden Gegenpol zu ihr überflüssig zu machen, indem sie ihn mit dialektischem Geschick aufnimmt und aufhebt. Galt ihr Vorgänger noch als talentierter Kanzlerdarsteller, ist sie der Inbegriff eines politischen Mediums, das für sich nichts ist und daher alles zu repräsentieren vermag, jene „Mutti“, die mit weit ausgebreiteten Armen links wie rechts Stimmen einsammelt. Anstelle der früheren Einheitspartei in der DDR hat sich als Erfolgsmodell die Einheitspolitik der ostdeutschen Kabinettschefin durchgesetzt, in der ihr Lieblingswort „alternativlos“ seinen imperativen Charakter verloren hat. Frei von jedem Anspruch ist es nur noch eine nüchterne Feststellung. Die moderne Diktatur zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich alle Jahre demokratisch ehrlich legitimieren lässt, ohne fürchten zu müssen, es könnte schlecht ausgehen.
Spürsinn
Aus der Sicht des Sensiblen sind alle anderen Feinfühligen überempfindlich.
Im falschen Hals
Bei aller ehrlichen Bewunderung ob der wohlangeordneten Symmetrie des menschlichen Körpers – der Gehirnhälften, Augen, Ohren oder Nasenlöcher, die Brüste, Lungen, Nieren und Herz-Kammern stets im Doppelpack besitzt – irritiert umso mehr die auch räumliche Zweisamkeit von Speise- und Luftröhre. Wieso diese organische Parallelität, die zum Verwechseln ähnlich doch höchst unterschiedliche Aufgaben übernimmt? Sie fordert geradezu heraus, dass einer etwas in den falschen Hals bekommt. Wenn solche Fehlfunktionen ihrer Häufigkeit wegen gar fürs Sprichwörtliche taugen, muss in den Bauplänen der Natur die Sache falsch angeordnet sein.
Konkurrenzkampf
Als „ganz oberflächlich“ bezeichnet der Soziologe Georg Simmel die übliche Auffassung, es seien vor allem jene Gestaltungs- und Erhaltungskräfte des Menschen wie die Liebe, die Gunst oder die Harmonie, die einer Gesellschaft erst ihre inneren Bindungen verschafft, so dass sie sich entwickeln und überleben kann. Der Meister der Polarität entdeckt, dass die repulsiven, die abstoßenden und widerständigen Energien genauso wichtig sind, um einer Gemeinschaft Form zu geben. Konkurrenz, Disharmonie und Missgunst repräsentieren die negativen, aber eben notwendigen Eigenschaften des menschlichen Miteinanders. So steht es in einem kleinen Aufsatz von 1903: Der Konkurrenz gar „gelingt unzählige Male, was sonst nur der Liebe gelingt: das Ausspähen der innersten Wünsche eines anderen, bevor sie ihm noch selbst bewusst geworden sind“*. Es ist wohltuend, über jene Charakterzüge, die sonst von den Gutwilligen und Besonnenen sofort disqualifiziert werden, einmal Kluges zu lesen, ohne dass es gleich moralisch wird.
*Georg Simmel, Soziologie der Konkurrenz, Gesamtausgabe Bd. 7, 227.
Mopsfidel
„Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos.“ (Loriot)

Roll-Mops: Lackierter Hund, in manchen China-Restaurants eine Attraktion, die auch bei hundsmiserablem Wetter vor die Tür geschoben wird – Zürich an der Limmat
Diktatur der guten Absicht
Es gibt einen pragmatischen Egoismus, der denkt, dass ein anderer können müsse, nur weil man selber jetzt kann. So beherrscht er Terminkalender, Gesprächsbereitschaft, Klärungsbedürfnisse, Gemeinschaftslust. Unter dem Deckmantel eines unspezifischen „Wir“ zwingt er zu Handlungen, die kaum im Interesse seines Gegenübers liegen; ja behält noch im Moment der Abweisung die Oberhand, indem er scheinbar großzügig selbstbestimmt von seinem Vorhaben absieht: „Lassen wir es.“ Nie soll man ihn verdächtigen, er könne anderes im Sinn gehabt haben als das fremde Wohlergehen.
Nighty-night
Müdigkeit ist ein ländlicher Begriff. Das städtische Pendant heißt Erschöpfung.
Wenn’s denn sein muss
Das Unpolitische, das als eine der Haupteigenschaften bei der jüngeren Generation von fleißigen Soziographen ausgemacht wird, geht nicht selten einher mit einem allgemeinen Desinteresse an den Dingen, die nicht zum erweiterten Dunstkreis des Eigenen gehören. Alles, was jenseits des Ichs liegt, dient entweder der Selbstoptimierung oder wird mit einem kraftlosen Achselzucken bedacht, das Gleichgültigkeit oder Unkenntnis müde signalisiert. Was bei den Älteren einst Selbstverwirklichung hieß, orientierte sich noch an einem größeren Ganzen, in das einzufügen oder das umzugestalten man sich zur vornehmen Aufgabe machte. Bei der Selbstoptimierung indes spielt weder Größeres eine Rolle, noch geht es ums Ganze. Ganz groß ist vielmehr nur das Ich mit seinen vielfachen wirklichen und virtuellen Identitäten.
Bestseller
Verkaufen ist Verführen ohne Geheimnis.
Alles Vollkommene ist nur ein Gleichnis

Wandmalereien: das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis
Begegnung mit einem Leser
Es hat etwas Unheimliches, die Gedanken des eigenen Buchs beim Leser wiederzufinden. Schon das graphische Bild der aufgeschlagenen Seite verrät durch etliche Unterstreichungen und Randbemerkungen, dass hier einer erkennbar anders gewichtet und gewertet hat. Der Autor wird sich hüten zu sagen, so habe er das nicht gemeint; aber er versteht, dass das ein Satz ist, der wie ein Schicksal über jeder Veröffentlichung drohend steht. Mit ihm rächt sich der Gedanke für den Gewaltakt, der ihm angetan wurde durch seine Publikation.
Die haben’s nötig
Not lehrt beten. Aber nur die Frommen.
Das kaufe ich Ihnen nicht ab
Kurz vor Ladenschluss betritt der Mann das Fachgeschäft für die dezente, dennoch teure Mode und schlendert entlang der Auslagen. Er will eigentlich gar nichts kaufen, befühlt Hemden, prüft den Stoff der Hosen und freut sich auf einen ruhigen Abend. Die blonde Verkäuferin, so unaufdringlich schön wie keines der wohlgeformten Stücke im Regal, lässt ihn suchen. Doch plötzlich steht sie hinter ihm. In ihren Händen hält sie einen schweren Ledermantel, tauglich für den tiefsten Winter. „Schlüpfen Sie da mal hinein“, fordert sie den verwunderten Besucher auf. Der gehorcht. „Und?“ „Ich brauche keinen Mantel“, erwidert er leicht mürrisch. Die Frau lässt sich nicht beirren. „Das habe ich auch nicht behauptet, aber manchmal sind jene Dinge besonders schön, die man nicht braucht“, sagt sie und lächelt. „Außerdem dachte ich, als Sie hier in unsere Filiale kamen – ich wollte gerade die Tür abschließen –, dass dieses Stück für Sie gemacht ist. Im Ernst.“ Der späte Gast weiß schon nicht mehr, was er antworten soll, hebt an, spröde von seinem Bedauern zu erzählen; da lässt ihn die Mitarbeiterin einfach stehen. Sie geht zur Kasse, telefoniert kurz, kommt wieder und strahlt: „Ich habe gerade mit der Zentrale gesprochen. Ich könnte Ihnen das Stück deutlich günstiger geben.“ „Warum tun Sie das?“ fragt er. „Weil der Mantel für Sie gemacht wurde.“ „Woher wissen Sie das?“ „Weil ich ihn kenne. Wir hatten zwei. Den anderen trage ich.“ Das verblüfft den Mann. Für einen Augenblick kriecht eine wohlige Wärme in ihm hoch, die er nur von jenen seltenen Stunden kennt, da er sich heimisch fühlt. Und er fasst allen Mut: „Dann könnten ja unsere beiden Mäntel vielleicht einmal zusammen Essen gehen“, sagt er und fürchtet schon, sie werde im Nu ihr unverstelltes Gesicht verlieren. Aber die Verkäuferin behält ihren freundlichen Zauber. Unbeirrt entgegnet sie: „Aber die beiden sind schon gefüttert.“
Arbeitskrampf II
Kulturgespräch im Südwestrundfunk über die Leistungsbewertung im Arbeitszeugnis.
Copyright by SWR2
Arbeitskrampf
Der juristisch festgeschriebene Wohlwollensgrundsatz, der den Verfassern von Arbeitszeugnissen auferlegt, hinter einer Fassade aus schmeichelnden Wörtern die kritischen Aspekte einer Leistung zu verstecken, führt notgedrungen zu unfreiwillig komischen Verrenkungen der Grammatik. Vor allem, wenn wirklich hervorragende Eigenschaften gekennzeichnet werden sollen. „Stets zur vollsten Zufriedenheit“, die Formel für das, was in der Schule eine glatte Eins heißt, verdient schon deswegen nicht „sehr gut“ genannt zu werden, weil sich die Sprache selbst überbieten muss, um auszudrücken, was sich nicht mehr recht absetzen lässt vor einer Folie scheinbar nur positiver Merkmale. Es gibt keinen Superlativ von „voll“. Die beiden anderen Verpflichtungen des Beurteilenden, die der Zeugnisklarheit und der Zeugniswahrheit, kommen so zu kurz. In solchen verquasten Wendungen verrät sich der prinzipielle Konflikt, der mit der Urteilsfindung einhergeht. Wir können gar nicht nachvollziehbar genau sagen, wie einer ist, weil sich jede Erscheinungsform eines Menschen bei scharfem Hinsehen als zweideutig, gebrochen, vielfältig zu erkennen gibt. Und wir dürfen dennoch nicht unbestimmt lassen, was wir gesehen haben, weil man nur so im Zusammenleben mit anderen einigermaßen orientiert handeln kann. Es ist die Weisheit der alten Verführungsgeschichte, dass sie den Schlamassel der Weltgeschichte beginnen lässt mit dem Wunsch des Menschen, alles durchschauen zu können, im Mythos: sein zu wollen wie Gott. Die Folgerung? Wo wir schon nicht auf das Urteilen verzichten können, sollten wir es beschränken in seiner Häufigkeit, in seinem Anspruch, präzise zu sein, in seiner Reichweite. Es tut gut zu wissen, dass jeder Satz über einen anderen zunächst nur das Bild beschreibt, das ich von ihm habe. Und nicht ihn selbst.