Geistesverwandtschaft

Im Tod seien wir alle gleich, heißt es, so dass die sonst maßgeblichen Unterschiede plötzlich ihre Bedeutsamkeit verlieren. Das mag stimmen, wie es allerdings auch richtig ist, dass im Sterben die Unterschiede noch einmal deutlich hervortreten. Helmut Kohl schildert in seinen Memoiren*, wie sich der schwer gezeichnete Willy Brandt in dessen letzten Lebenswochen immer wieder mit genauen Wünschen an ihn, den damals regierenden Kanzler wandte, nicht zuletzt mit der Bitte, die Nachricht vom Ableben bekanntzugeben, wenn es dann so weit sein werde. Es war folglich das christdemokratisch geführte Kanzleramt, dem es oblag, den letzten Willen des großen Sozialdemokraten zu erfüllen. Was in der politischen Heimat von Brandt das ohnehin gewachsene späte Befremden zur Verstörtheit steigerte. Man war hoch irritiert, dass die anstehenden Trauerfeierlichkeiten so ganz anders zu gestalten waren, als es sich in politisch links orientierte Vorstellungen fügen wollte. Da haben in den Monaten der deutschen Wiedervereinigung zwei große Köpfe einander erkannt, über Parteigrenzen hinweg, die beseelt von der Wucht eines welthistorischen Ereignisses für den Rest ihres Lebens selber einig geworden waren, weil sie sich plötzlich in der gemeinsamen Rolle des Protagonisten wiederfanden, der den Gang der Dinge durch persönlichen Einsatz zu erfüllen hatte. Auch da wuchs zusammen, was zusammengehörte.**

* Helmut Kohl, Erinnerungen 1990 – 1994, 486f.
** Willy Brandt in einem Interview, nicht in seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus am 10. November 1989, siehe: F.A.Z. vom 14. Oktober 2014