Tag: 10. Mai 2024

Konkurrenzdenken

Am stärksten sind jene Denker, die noch ein Bewusstsein davon haben, besser: ein Gespür dafür besitzen, dass alle großen Ideen einmal aus der Konkurrenz erwachsen sind zu den religiösen Vorstellungen, die wir von Gott, Welt und Seele besitzen. Wer sich als Philosoph nicht mit theologischen Fragen auseinandersetzt, ja mit ihnen nicht ringt, bleibt unter dem Niveau seiner eigenen Profession. Man kann Gott nicht ignorieren, ohne – paradox zu sagen – auf eine tiefe Weise dumm zu werden. Eine Welt ohne Gott* hat auch in der Philosophie immer mindestens ein Problem zu sein.

* Der Begründer des Völkerrechts, Hugo Grotius, hat im Vorwort seines Werks über das Recht des Kriegs und des Friedens das Programm der Aufklärung vorweggenommen, das ihm in der verkürzten Formel „Etsi Deus non daretur“ zugeschrieben wurde: Die Gesetze entsprechen der Vernunft so sehr, dass sie ihre Geltung behielten, auch wenn es Gott nicht gäbe. So schreibt er: „Was wir gesagt haben, würde ein gewisses Maß an Gültigkeit haben, auch wenn wir das zugeben sollten, was ohne die äußerste Bosheit nicht zugestanden werden kann, dass es keinen Gott gibt …“ (De iure Belli ac Pacis, Prolegomena, 11)