Eine der beliebtesten Gesprächsthemen in kleineren Runden am Abendtisch nach dem Essen ist der Austausch von Rezepten oder die Erfahrung mit bestimmten Restaurants. Beim Essen wird übers Essen geredet, doch nicht von dem, das gerade serviert worden ist. Warum? Wahrscheinlich sorgt die Befreiung von der Funktion, Nahrung aufzunehmen, für das Gespür, es als kulturelle Geste zu verstehen, als Feier des guten Geschmacks und der beseelten Gemeinschaft, wie es in der Gastrosophie gang und gäbe ist. Man versichert einander, zu würdigen zu wissen, was die Zunge fein genossen hat. Sie, die Weisheit des Magens, verlangt Kennerschaft über das Mahl hinaus, von der präzisen Identifizierung des Jahrgangs erlesener Weine bis zur trendigen Gebrauchsanleitung japanischer Gemüseschneider. Es war Nietzsche, der die Tischkultur als Unterschiedsmerkmal der Gebildeten unter den Verehrern des Geschmackssinns boshaft kennzeichnete: „Durch den vollkommnen Mangel an Vernunft in der Küche ist die Entwicklung des Menschen am längsten aufgehalten, am schlimmsten beeinträchtigt worden.“*
* Jenseits von Gut und Böse, § 234