Monat: April 2018

Die Armut des Reichtums

Ohne Vermögen ist nicht nur der, welcher wenig besitzt, sondern auch jener, der nichts begehrt. Nur dass sich diese Form der Seelenlosigkeit nicht lindern lässt wie Geldnot. Die Armut, unbedürftig zu sein, findet sich nicht selten gerade bei denen, die reich sind.

Oben und unten

Es ist der rätselhafteste Aspekt in einem sonst unaufgeregten Angestelltendasein: dass die Frage, wie der oder die es so weit hat bringen können, nicht durch die schlichteste aller Antworten zu befriedigen ist – durch Leistung. Karrieren entscheiden sich selten, indem einer sich in den Vordergrund arbeitet. Sie werden meist in Hinterzimmern beschlossen. So klar die allgemeinen Kriterien sind, so undurchsichtig bleibt deren Anwendung im Einzelfall. Vielleicht kommt alles nur darauf an, das Gespür für den günstigen Moment zu haben, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Das Geheimnis einer Karriere ist Timing.

Sie sind entlassen!

Die vielleicht probateste Methode, sich der eigenen Macht zu versichern, ist Unberechenbarkeit. Solange sie in ihrer Willkür verlässlich ist, bleibt sie sichtbar und spürbar. Aus dem Potentialis „Ich könnte, wenn ich wollte“ wird regelmäßig zur Bestätigung der Realis: „Ich habe es getan, weil ich es kann.“ Nichts begründen zu müssen, ist ihr Ausweis als letzter Instanz. Die Wahrheit der Macht ist ihre Irrationalität. Insofern verhalten sich Despoten konsequent, wenn sie gelegentlich Köpfe rollen lassen, wo der Günstling sich in vermeintlicher Sicherheit wähnte. Was als Handlungsmuster aus seiner früheren Fernsehshow bekannt geworden ist, dient dem demokratisch gewählten amerikanischen Präsidenten jetzt symbolisch als Selbstvergewisserung: Minister und Berater nach Gusto entfernen zu können. Wo der Wählerwille sich nur alle paar Jahre kundtun kann, überwindet eine kleine Entlassungswelle aufkommende Unsicherheit über die eigene Rolle. Mächtig ist, wer über Nähe und Distanz jederzeit neu entscheiden kann.

Helden des Alltags

Von einem gewissen Alter an wandeln sich die Heldentaten. Nun handeln die Geschichten über die ungeheuren Prüfungen, die ein gewöhnlicher Alltag stellt, nicht mehr vom erfolgreichen Verbalwiderstand gegen den Chef oder die knochenharte Radtour durch den Mittleren Westen des Odenwalds, sondern nur noch von überstandenen Operationen. Held ist, wer die Klinik nach repariertem Zipperlein hier und bekämpftem Zwicken dort auf zwei Beinen aufrecht wieder verlassen hat.

Warenwelt

Nie ist ein Buch auf sein eigentliches Ansinnen, gelesen zu werden, stärker verdichtet wie in dem Moment, da es druckfrisch als Belegexemplar zu seinem geistigen Vater zurückkehrt – zu dem, der es nicht mehr lesen muss, da er es geschrieben hat. Sein weiteres Schicksal ist die Vergegenständlichung zur billigen Ware. Ob als Ladenhüter oder Bestseller, stets durchläuft der Text seine Metamorphose bis hin zu jener letzten Phase, in der er als Ramschartikel deutlich unter Wert angeboten wird. Oder zuvor gerettet von seinem Erdenker und Erschaffer, der den übriggebliebenen Bestand diskret erwirbt. Weil er es nicht erträgt, dass die Restauflage das Schicksal erleidet, das er seinem Werk von Herzen immer gewünscht hat: in Massen verkauft zu werden.

Erstes und letztes Wort

Die Osternachtsliturgie der Kirchen umfasst in ihren Lesungen das gesamte Testament, vom Schöpfungsmythos über die Befreiungserzählungen bis zu den Berichten über das leere Grab. Der Bogen, der damit gespannt wird, hebt an mit der Bestimmtheit einer Weltordnung und reicht bis zum endgültigen Daseinsstatus, der nicht mehr Tod heißt. Auferstehung ist, so gelesen, die Wiederholung der Schöpfung unter Bedingungen ihrer Unmöglichkeit, das letzte Wort als erstes Wort: derselbe Ruf ins Leben wie am Anfang, nun aber über das Ende gesprochen.