Aus dem noch ungeschriebenen Roman
… „Na, wie fühlt sich das an?“ fragt sie unvermittelt. Gerade einmal eine Viertelstunde ist er jetzt in ihrer Wohnung. Es ist das vierte Date, seitdem sie ihn in der Kunsthalle angesprochen hatte. Er hat alles minutiös gespeichert, wie er da versonnen und zeitvergessen vor einem Karfreitagsstillleben des Malers Michael Triegel stand, das blutende Herz ins Zentrum des Kreuzes geschlagen, umgeben von drei toten Fischen, die dessen Schicksal teilen.
„Na, wie fühlt sich das an?“ Die fremde, aber Vertrauen weckende Stimme trat von hinten an ihn heran, so dass er erschrak. Er wandte sich um und sah in ein zartes, helles Gesicht, die Augenbrauen für den Augenblick der Frage hochgezogen. „Da hat wohl einer sein Herz verloren“, setzte sie fort. Er war noch immer benommen, nur dass er nicht mehr genau wusste, weswegen. Eben noch war er gefangen von dem Altarbild im Stil der Alten, aber unmerklich schien sich die Faszination auf diesen neugierigen Menschen gerichtet zu haben, mit dem er allein im Ausstellungsraum stand. „Ja, so scheint es“, stotterte er den belanglosesten Blödsinn, der sich so sehr unterschied von all dem Tiefen, das er noch Momente zuvor gedacht hatte: Das Wort, das Fleisch geworden war, hing als tödlich verwundetes Organ am Holz; wie ließe sich das brutaler und plastischer zeigen als durch die Anatomie des Lebenssymbols schlechthin. Nichts davon fiel ihm ein, bloß: „Das Herz ist ein paradoxes Körperteil, es kann fast alles, erkalten, triefen, zerreißen, brechen, weich sein.“ Dann fügte er fast zur Entschuldigung an: „Ach, was rede ich.“
Sie blieben während des Ausstellungsbesuchs zusammen, liefen noch durch den Skulpturenpark, tranken einen Espresso und verabredeten sich fürs nächste Wochenende. So ging das schon ein paar Wochen: ein Kaffee hier, der Spaziergang durchs Grün dort.
Heute hat sie gekocht, hat ihn zum Dinner eingeladen in ihr Loft mit Blick auf den Fluss. Beeindruckt von den sechs Meter hohen Industriefenstern, die vom Wasser widergespiegelt werden, steht er schweigend im Raum. „Von der Nachbarwohnung aus gelangt man auf die überdachte Brücke. Das scheint eine Werbeagentur gemietet zu haben.“ „Ist cool hier zu wohnen. Passt zu dir.“ Da hat er sich wohl etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt. „Woher willst du das wissen? Du kennst mich doch gar nicht“, erwidert sie. Das Warm up stockt.
„Ich habe ein Curry gemacht.“ Sie wechselt das Thema, um die Verkrampfung zu lösen. „Hoffe, es ist nicht zu scharf.“ „Für mich kann es nicht scharf genug sein“. Er gibt ein wenig an. Denn obwohl er Chilli gut verträgt, mag er es dennoch so dezent, dass es den Geschmack nicht zerstört. „Aber es wird ja nie so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ Schon wieder so eine saudumme Trivialität, denkt er. Da hat sie ihn schon erwischt: „Bei mir ist es genau umgekehrt. Wer mit mir isst, dem wird heißer als die Herdplatte. Komm!“ …