Tag: 2. April 2023

Mehr als eine Eselei

Es sind eine Reihe von weitgespannten Eigenschaften, die dem Esel nachgesagt werden, jenem Symboltier, das im Prophetenwort, einst werde der König auf ihm nach Jerusalem reiten (Sacharja 9,9), seine literarische Grundfigur erhalten hat: störrisch und eigensinnig, friedfertig und ausdauernd, diensteifrig oder sexuell potent, lastkräftig, aber sensibel. Dennoch: Der Esel ist kein Pferd. Und wird schon deswegen gern unterschätzt. Das sollte nicht überlesen werden in einer Geschichte, die von der Überschätzung handelt, der Erzählung vom Weltenherrscher, dem Palmenzweige auf seinem vorletzten Weg zu Füßen gelegt werden. Und der wenig später am Kreuz endet. So überreizt das Publikum dargestellt wird, das am Rand steht und dem Messias zujubelt, so unterbewertet ist der Esel, auf dessen Rücken sich das Geschehen abspielt. Das flirrende Changement zwischen Verehrung und Verirrung gehört allerdings zur Sache der Passion. Denn jenseits von Edlem und Elendem ereignet sich Eigentliches: die Paradoxie eines absoluten Endes, das als absoluter Anfang verstanden werden will in der Antwort auf die Frage: „Was sucht Ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Luk. 24,5)