Monat: Juni 2023

Angemessen

Das viel zu hohe Honorar für eine Dienstleistung hat dieselbe Wirkung wie schlechte Bezahlung: Man fühlt sich leicht elend, nicht richtig eingeschätzt hier, nicht wertgeschätzt da, in beiden Fällen nicht ernstgenommen. Im Markt der Freiberufler und Selbstständigen entzünden sich am Geld immer Persönlichkeitsfragen.

Die Welt ertragen

Es gibt zwei gut erprobte Weisen, die Welt besser zu ertragen: Schreiben und Lachen. Beide suchen die Entlastung durchs Wort, in der Form eines Textes einsam, als Witz in der Erheiterung vieler.

Abschiedsworte

Meist sind die Worte, die gesprochen werden, wenn Wege sich trennen, und die als eine Würdigung des Gemeinsamen nachgerufen nichts von dem enthalten, was den Abschied für geboten zu halten schien, fahl und hohl. Sie liefern keine Rechtfertigung oder Erklärung, sondern unterstreichen die Dankbarkeit für Geleistetes so, dass alle sich fragen: Ist das jetzt nötig? Es ist der kleine Tod, der wie der große ein Rätsel bleibt. Nichts schmerzt mehr als jene Scheidungen, die so endgültig sind, wie für sie die Gründe plausibel nicht angegeben werden.

Populärer Populismus

Dem, der zwar nach Popularität strebt, aber den Populismus verachtet, wird die Sehnsucht nach Volksnähe zum Problem, wenn ausgerechnet der Populismus populär erscheint. Das ist immer dann der Fall, wenn Politiker meinen, sie könnten Demokratie haben ohne jenes Gran an Demagogie, das für eine treue Wählerschaft sorgt.

Sie haben Post

Der mausgraue Umschlag, nachhaltig korrekt als schlichtes Zeichen der umweltfreundlichen Gesinnung deutscher Behörden, kündigt auch an, dass in aller Regel nichts Gutes zu erwarten ist von seinem Inhalt: Steuer- oder Mahnbescheide, die Gebührenrechnung für das jüngste Parkvergehen in der überfüllten City, ein Bittsteller, der um Spenden wirbt. Echte Briefe, wenn Sie denn überhaupt noch gelegentlich im Postkasten liegen, eine Einladung zur Jubelfeier oder, noch seltener, die handgeschriebene Lebenserzählung, sind eingekleidet ins Blütenweiß edlen Papiers. Der Absender schert sich nicht um den Anschein ökologischer Sensibilität; umso leichter fällt dem Adressaten, das Schreiben herauszufischen aus dem täglichen Stapel. Er weiß, dass anders als beim Amtsschreiben, wo die Verlogenheit außen den bis aufs Komma richtigen Inhalt umhüllt, der handgeschöpfte Büttenumschlag, so ehrlich unkorrekt er ist, einen in seiner Übertriebenheit schmeichelhaften Gehalt kaschiert. Nur allzu selten ist die girlandenhafte Einladung so innig wie es die abbindende Schlaufe eines „sehr herzlichst“ vorgetragenen Grußes zur Kenntnis geben will.

Wem Gesang gegeben

„Zugestiegen?“ Der Klang der Stimme dringt von hinten ins Abteil des lesenden Fahrgasts wie eine ferne Melodie. „Zuuu-“ (hier hebt sie an) „-ge“ (ein kurzes Intermezzo) „-stiiiegn“ (erst gedehnt, dann Abbruch). „Die Fahrkarten bitte.“ Der Zugbegleiter ist auf dem Kontrollgang und verschafft sich Aufmerksamkeit, indem er seine Aufforderung mit einem silbenbetonten Singsang unterlegt. Wie oft hat er das schon gesagt; er kann sich selber nicht mehr hören. Können es die Reiselustigen? Einer jedenfalls merkt auf: „So fröhlich heute.“ Man kennt sich flüchtig. Er ist Vielfahrer und zieht routiniert die Dauerkarte aus der Tasche. „Ja, wir streiken bald wieder.“ Dem Passagier, der auf die Bahn angewiesen ist wie auf das tägliche Brot, gefrieren die Gesichtszüge. „Und das macht Sie heiter? Denken Sie eigentlich auch an uns?“ „Seit mehr als dreißig Jahren. So lang bin ich schon auf der Strecke. Aber wenn wir uns nicht kümmern, geschieht nichts. Was glauben Sie, das wir alles aushalten müssen. Ich könnte Ihnen ein Lied davon singen.“ Der Kunde hat seinen Plauderton verloren. Schon wieder in sein Buch vergraben, grummelt er nur: „Vielleicht lernen Sie erst einmal, den Ton zu treffen.“