Auch plebs ist das Volk, das eine Stimme hat, die es abgeben kann. So manche Äußerung derer, die dem Lockruf der Populisten folgen, zeugt von einer Dummheit und Dreistigkeit, die düstere Gedanken aufkommen lassen, Artikel 38 des Grundgesetzes zu erweitern um einschränkende Bildungsvoraussetzungen für Wahlen. Diese Art der Wählerbeschimpfung setzte nicht an beim unpassenden Ergebnis, sondern dort, wo es dem Souverän nicht gelingt, das Niveau zu erreichen, das nötig wäre, eine begründete Entscheidung zu fällen. Könnte es nicht Zugangsberechtigungen zum Urnengang geben, die nicht allein ans Lebensalter gebunden sind, sondern jenseits von Gesinnungen an ein bestimmtes Level von Vernünftigkeit gekoppelt (dasselbe gälte dann freilich auch für Politiker) – wie es ja auch möglich ist, in Restaurants oder Discos abzuweisen, wer sich nicht an Dresscodes oder Gepflogenheiten hält? Es gibt nach den Wahlen Anlass zur Fremdscham, die sich nicht der Fremden schämt, die im Land wohnen, sondern der Eigenen.
Monat: September 2024
Künstliche Autorität
Autorität ist immer jene Kunstform der Nähe, die sich über Abgrenzung bestimmt von dem, dem sie nahekommt. Da bedeutet Hinwendung nicht das Gegenteil von Wegwendung; diese ist vielmehr die Bedingung für jene.
Paarbeziehungen von Körperteilen
Wer sein Herz auf der Zunge trägt, darf sich nicht wundern, wenn er gelegentlich Hals über Kopf seine Beine in die Hand nehmen muss, auch wenn Hand und Fuß hat, was er frei von der Leber weg gesagt hatte. Es traf halt jemanden, der Haare auf den Zähnen hat.
Öffentliche Kunst
Was den Künstler zum Künstler macht: der Applaus. Es gibt kein Werk, das nicht zuvor der Öffentlichkeit zur Beurteilung vorgelegt worden wäre. Alles andere sei Hobby, Handwerk, das diskrete Spiel mit den eigenen Talenten genannt. Um das auszuhalten, sich dem Publikum in dieser Art im letzten auszuliefern, ist eine heimliche Verachtung nötig derer, die zwar nicht können, was die Meisterschaft in der Sache ausmacht, aber die Macht über sie haben. Zu ihr gesellt sich nicht zuletzt die oft als übersteigertes Selbstbewusstsein sich darstellende Geringschätzung des Eigenen, die nicht erträgt, dass absolute Freiheit eine Folge absoluter Abhängigkeit ist.
Deutschland, wir haben ein Problem
Reflexe sind nichts, was Probleme bewältigt, die sich in den gewohnten Weg stellen. Oft sind sie Fluchtreaktionen vor veränderten Wirklichkeiten, Realitätsverweigerungen, Verblendungen. Zu solchen Reflexen gehören die Floskeln: „Wir haben verstanden“ oder die Scheinlösung: „Wir müssen besser kommunizieren“. So werden katastrophale Wahlergebnisse geschönt. Das Gegenteil gilt: Gerade nicht versteht, wer meint, durch verstärkte Erklärmaßnahmen ließe sich künftig verhindern, politisch abgestraft zu werden. Was der Bürger sich von seinen Volksvertretern wünscht: einen wachen Geist, einen klaren Verstand, eine ehrliche Einsicht und vor allem Vertrauen in die Urteilskraft derer, die ihre Stimme abgeben. Das hätte zur Folge, dass so manches Problem erst einmal auszuhalten ist, bevor man nach einer Lösung sucht.
Wenn Vernunft herrscht
Das ist der Alltag der Demokratie: die Notwenigkeit, sich zu streiten, zum Anlass zu nehmen, sich einigen zu müssen. Das geht nur, wenn jeder, der sich politisch engagiert, über die Fähigkeit verfügt, die Welt aus mehr als einer Perspektive sehen zu können. Daraus folgt: Ausgeschlossen wird nur, wem das nicht gelingt.