Win-Win

Die meisten Win-Win-Situationen haben zwei Sieger: Gewinner und ehrliche Gewinner. Die nennt man Verlierer.

Über den Tellerrand

Dumm verdient genannt zu werden, wer die Grenzen seiner eigenen Welt nicht kennt, weil er nie über sie hinausgeschritten ist.

Nichts ist fremd

Heiliger Geist: die Verwandlung alles Fremden in ein beglücktes Staunen über Andersheit und Vielfalt.

Worauf hoffen wir?

Hoffnung ist jene Geisteshaltung, die darauf setzt, dass es eine Befreiung auch von jenen Problemen gibt, die wir selber nicht lösen können. Sie ist im tiefsten immer die Erwartung einer Erlösung.

Verlegenheitsfrage

Alle Kunst und deren Institutionen, Theater und Konzerthaus, Geisteswissenschaften (wenn sie denn sich selbst als „Kunst“ der Nachdenklichkeit verstehen) oder der Genusstempel, Sport wie Spiel, sie alle fliehen vor der einen Frage, die sie in Verlegenheit bringt: Wozu das ganze? Kunst ist dadurch definiert, dass sie sich nicht über den Zweck rechtfertigen lässt. Vielmehr gibt es sie „einfach so“, was angesichts der Zeit und des Gelds, das sie verschlingt, so einfach nicht ist.

Das Ende des Kapitalismus

Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, wird nicht politisch beschlossen, sondern bestimmt über die unausgesetzte Erschöpfung von Mensch und Natur, die einer Steigerungslogik unterworfen sind, welche sich nicht einmal mit der Steigerung zufriedengibt. Wachstum, auch wenn es das Wort anklingen lässt, wird gerade nicht verstanden als organisches. Wo die Steigerung der Steigerung, die exponentielle Entwicklung zum Gesetz des Erfolgs erhoben ist („das ist ja nur ein Prozent mehr als im letzten Quartal“), bleiben die ausgelaugt zurück, die anständig, gutwillig, für den Augenblick einsichtig gewesen sind, die fast alles gegeben, manchmal sogar sich aufgegeben haben. Das System hat zwar genug Geld, aber das ist nichts wert (auch eine Inflation), weil es nicht kompensieren kann, dass einer nicht mehr kann. Nicht ökonomische Dialektik, aber die Missachtung einfacher Lebensregeln besiegelt das Schicksal einer Maximierungsmaxime, die das Überflüssige missachtet. Der Finanzmarkt hat dafür eine unfreiwillig ehrliche Metapher des Fluiden gefunden: Ausschüttung.

Was für eine Überraschung

Der Unterschied zwischen einem Optimisten und einem Schwarzmaler lässt sich am klarsten erkennen an der Art, wie sie mit Überraschungen umgehen: hier die schönste Vorfreude, dort die böse Vorahnung. Der eine staunt über die plötzliche Erregung, ja giert nach gleich sensationeller Verbesserung, den anderen befremden Verblüffung und Wirbel. Das Ideal des Pessimisten ist eine Welt, die über sich resigniert ist und schon deswegen keine Änderungen anstrebt, weil sie dem eigenen Wandel nicht mehr glaubt. Pessimismus ist der Tod als Lebensform.

Die Herrschaft des Dienstes

Zu den großen Leistungen entwickelter Gesellschaften gehört, dass sie Macht an Funktionalitäten koppelt. Der öffentliche Dienst, seine Ämter und Institutionen, heißt so, weil er durch seine Aufgabe, das geregelte Leben aufrechtzuerhalten, mit zweckgebundenen Zugriffs- und Durchsetzungskräften ausgestattet ist. Was aber, wenn er diesem Ordnungs- und Gestaltungsauftrag nicht mehr nachkommt? Dann bleibt nur die nackte Herrschaft, die willkürliche Überlegenheit, der Ton hohler Herablassung, die im Maße des Ausfalls administrativer Funktionen auf einen wachsenden Egoismus des Bürgers treffen, der zwischen Wurschtigkeit und Widerstandsphantasien hin- und hergerissen sich vom Staat unwillkürlich entfremdet.

Undiplomatisch

So wenig auf die Diplomatie als politischer Handlungsform verzichtet werden kann, so sehr entzieht sie sich dem Aufklärungsprinzip und der öffentlichen Kontrolle in der Demokratie. Sie ist der Ort, an dem Politik ihre wichtigsten Erfolge erzielen, wie sie auch der Pflicht zur Rechtfertigung durch den Hinweis auf Geheimverhandlungen ausweichen kann. Konsequente Transparenz zwingt dazu, undiplomatisch zu werden; konsequente Diplomatie nötigt zur Intransparenz.

Morgengebet des Managers

Aus dem Morgengebet des Managers: … und versuche uns nicht in der Führung.

Die lieben Kollegen

Unter Spezialisten steht der im Verdacht, unseriös zu sein, der noch anderes kann, als es die Fachwelt fordert.

Lüge nicht!

Der Freiheit, alles fragen zu dürfen, sollte die Freiheit unmittelbar entsprechen, nichts beantworten zu müssen. Nur so lässt sich vermeiden, dass einer sich gezwungen sieht zu lügen.

Von dort

Das Nicäno-Konstantinopolitanum und das apostolische Credo, beide Glaubensbekenntnisse binden die Himmelfahrt des Weltenerlösers unmittelbar an die Legitimation des Richtspruchs über die Menschen. „Von dort“ her, so heißt es, kommt Jesus nicht nur, um das Zeitenende zu besiegeln, von dort her sind seine Worte auch als letzte zu begreifen als Verfahrensentscheid über Lebende und Tote gleichermaßen, wodurch, als nicht unwesentliche Pointe, dem Tod die Macht endgültiger Differenzierung genommen wird. Was in juristischen Verfahren ohne Ansehen der Person geschieht, so dass die Iustitia mit verbundenen Augen dargestellt wird, und was so die allgemeine Gültigkeit des Beschlusses garantieren soll, das wird im Jüngsten Gericht durch die vorangegangene Himmelfahrt, die durch ein „Von dort“ jedes Wort letztgültig rechtfertigt, über die absolute Distanzierung gewährleistet. „Himmel“ ist das, was wir nicht sind und was wir auf Erden einander nie sein können. Dieser unendliche Abstand aber macht erst möglich, dass am dies irae, im definitiven Augenblick, nichts als die Person angesehen wird, was überhaupt erst Gerechtigkeit (und nicht nur Recht) zu sprechen erlaubt. Objektivität als Erkenntnisideal und Subjektivität als dauernder Störfaktor spielen keine Rolle mehr, weil das Urteil nicht „hier“ oder „dort“ gesprochen wird, auch wenn der Urteilende „von dort“ wiederkommt, indem er, der sich als das Wort vorgestellt hatte, das im Anfang war, sich selbst im finalen Akt überbietet als die eine Geste, die am Ende ist und die alle erhoffen: die weit ausgebreiteter Arme, in die sich zuverlässig flüchten kann, wer vom Urteilen und Verurteilen ein für allemal genug hat.

Doch, doch

Unter den Allerweltssätzen, die über das Miteinander von Menschen formuliert sind, gehört an die erste Stelle das Axiom: Man kann nicht nicht kommunizieren!* Keine Rede vom Reden, in der es nicht zitiert, gelegentlich gar besprochen wird. Es ist unangreifbar, weil auch der Widerspruch, die bockige Verweigerung, das trotzige Schweigen etwas sagen will. Und doch erregt diese Maxime Abwehr. Gäbe es nicht Formen, die sich dem entziehen, Varianten des Desinteresses, Arten des Gleichmuts? Auch dieser Satz über die Kommunikation kommuniziert. Er fordert auf, in jeder Geste, jedem Ausspruch, jedem Lächeln, jedem Zwinkern eine Botschaft zu suchen. Aber diesem Zwang zur Deutung kann ich mich verweigern. Und schlage so aus, wonach jede Kommunikation strebt: den Anschluss.

* Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson. Menschliche Kommunikation, 53

Amtskette

Wer nichts Höheres kennt als das Amt, an das er sich kettet, ist des Amtes nicht würdig.

Zahlenwelt

Das gilt für die meisten ökonomischen Befunde: dass die Zahlen der Wirtschaft zwar exakt sind, aber die Konsequenzen und Entscheidungen, die daraus zu ziehen sind, sich aus ihnen nicht genauso zwangsläufig ergeben. Der Manager muss kein Rechenkünstler sein, aber über jenen Erfahrungsschatz verfügen, der ihm zuverlässig erlaubt, Daten sinnvoll zu deuten. Ob solche Interpretationen taugen, zeigt sich nicht zuletzt an der Belastbarkeit betrieblicher Kommunikation. Es gibt kein besseres Kriterium für die Qualität einer Leitungskraft, als dass Menschen ihr freiwillig folgen und die eigenen beruflichen Ziele an dem festzumachen bereit sind, was als strategische Notwendigkeit ausgegeben wurde.

Durch die rosa Brille betrachtet

Nichts trübt den Realitätssinn so ein wie der Erfolg, für den man sich nicht anstrengen musste.

Die Inflation der Gründe

Gestrandet am Bahnhof. Nichts geht mehr, außer die Dauerbeschallung durch den Lautsprecher am Gleis. Die funktioniert reibungslos. Ohne Unterbrechung wird zu jedem der ungezählten Zugausfälle der „Grund dafür“ genannt: Unbefugte am Gleis, Warten auf Anschlussreisende, Weichen- oder Stellwerksstörung, Reparaturen auf der Strecke und, nicht zuletzt, die berüchtigten Verzögerungen im Betriebsablauf. Aber wer will das wissen? Keinen der Reisenden interessiert, warum der Verkehr stockt. Hingegen interessiert ausnahmslos alle, wann sie endlich wegkommen und zum Ziel gelangen. Es wird Zeit, dass sich die Bahn von ihrer Vergangenheitsorientierung abwendet und der Zukunft widmet. In der Logik sind Gründe entscheidend, in der Psychologik dienen sie meist nur als Entschuldigung.

Wertschätzung

In jeder Beziehung regiert ein von allen gleichermaßen gehegter, aber nicht von allen gleich laut ausgesprochener Wunsch. Er heißt: Ich möchte gesehen werden.

Mathematik der Größe

Auch die Größe als Qualität lässt sich verstehen aus einer Addition einzelner, ja was: Mengen nicht, aber Einstellungen. Wobei die sozialen Bindungskräfte, die für sie wesentlich sind, sich über den Glauben an die eigene Stärke entwickeln hin zu einem Vertrauen, dessen Ausdrucksspektrum reicht von der Verlässlichkeit bis zum absoluten Einstehen füreinander, als eine Dimension eigenen Rechts den individuellen Fähigkeiten hinzugezählt werden müssen. Teamgeist, dieses unfassliche Phänomen, ist deutlich mehr als die Summe schönster Absichten und bester Talente. Er übernimmt die „Führung“ in einem gemeinschaftlichen Leben, das ausgezeichnet ist durch die Erfahrung, dass jeder, der in ihr lebt, sie auch als Ganzes erlebt. Dieses „Ganze“, das sich nicht über seine Zusammensetzung erschließt, ist das Geheimnis für Erfolg. Das ahnt, wer Großes anstrebt, und weiß, wer einmal Champion* geworden ist.

… wie Eintracht Frankfurt kurz vor Mitternacht am 18. Mai 2022 im Finale der Europa League

Richtig menschlich

Nur eine Moral, die auf den Anspruch verzichtet, das Richtige zu tun, und stattdessen versucht, menschlich zu sein, schützt vor der Verrohung der Seelen.

Motivationsseminar

Was bedeutet motivieren? Doch gewiss nicht: Menschen dazu zu bringen, dass sie sich bewegen. Sondern eher: sie so zu begeistern, dass sie klug werden. Wenn du kein Ziel hast, in der Sache keinen Sinn entdeckst, hilft es wenig, auf dem Weg zu sein.

Der Widerhall des hohen Tons

„Das Mysterium der Musik ist nicht das Unsagbare, sondern das Unaussprechliche.“* So beschreibt der französische Philosoph Vladimir Jankélévitch das Verhältnis von Sprache und melodischem Klang, der dem, was sich in Worte nicht fassen lässt, anders formatiert Ausdruck verschafft. Wie das Unsagbare einem Mangel an Wörtern entstammt, heißt unaussprechlich doch, wofür ein Zuviel an Worten nötig wäre. Hier regiert dröhnende Stummheit; dort herrscht Schweigen – und Hören.

* Die Musik und das Unaussprechliche, 106

Zu viel, um es zu erzählen

So manche Philosophie ist eine verkümmerte Erzählung, die zu lang geraten ist für einen Essay.