Tag: 2. April 2021

Der schlimmste aller Bäume

Zu den Widersprüchen, die am Karfreitag gefeiert werden: Der Tag, an dem Gott sich hat hängen lassen – an den „schlimmste(n) aller Bäume“* – ist jener Moment, von dem an am Menschen nichts mehr hängen bleibt, weil alle Moral abprallt an dem, was theologisch „Rechtfertigung“ heißt. Der Tag, an dem Menschen in der Verurteilung und Kreuzigung eines Unschuldigen, ihre absolute Macht über Gott ausüben, ist jene Stunde, in der das Machtvollste im Leben, der Tod, seine Absolutheit verliert. Der Tag, auf den sich Luthers reformatorische Thesen gründen und eine weltumspannende Revolutionstheorie, (der „spekulative Karfreitag“ Hegels), ist jener Augenblick, an dem weder Gesellschaft noch Geistlichkeit große Worte machen, sondern Einzelne, das Individuum, sich ins brüchige Gebet einüben. Der Tag, an dem nach den alten Zeugnissen die Frage zur Beantwortung vorgelegt wurde, was ein Gott zu heißen verdiente, ist jener Zeitpunkt, in dem die Zeugen stellvertretend nur noch eines fragen: Wer bist du? Der Tag, an dem Absurdität und Widersinn, Paradoxie und Ungereimtheit sich ins Extreme zu steigern scheinen, verdichtet sich im Imperativ: Lasst euch versöhnen!

* Nietzsche, Also sprach Zarathustra III, 12