Tag: 24. April 2021

Wir Menschenlümmel

Mit dem Fortschritt von Techniken, die das Individuum infantilisieren und seinen Hang zur Faulheit mit einem Zuwachs an Unselbstständigkeit belohnen, geht dessen Pädagogisierung einher.  – „Intelligente“ Sensoren und Hochleistungsrechner im Auto sorgen für effizientes Fahren, das Spontanentscheidungen ausbremst; die Höchstgeschwindigkeit von Neuwagen wird gedrosselt auf ein Niveau weit unter dem Motorleistungsvermögen; Apps überwachen präzise die Bewegungsmuster derer, die sie auf dem Smartphone installiert haben. An sie wiederum haben sich Dienstleister oder Versicherungen unmittelbar gekoppelt, die diätetisches Verhalten honorieren. Der Algorithmus schlägt vor, was wir sehen, lesen, essen, wie wir uns modisch kleiden oder welche Musik zu hören gefällig ist … – Umgeben von strengen Erziehern, die mit Bestrafung drohen und Wohlgefälligkeit durch Bequemlichkeitsförderung wertschätzen, fügt sich der technisch hochgerüstete, aber in seiner Eigenständigkeit deformierte Mensch auch politisch und gesellschaftlich in ein System, das vornehmlich durch einen Dschungel an Vorschriften und Verboten seine Dominanz ausübt, ohne dass es mit allzu lümmelhaftem Aufbegehren rechnen müsste. Wir regredieren vom selbstbewussten Subjekt zum Zeitgenossen, der sich von Vater Staat bevormunden und versorgen lässt, sich um Mutter Natur liebevoll kümmert und sich brav an die Regeln hält, die eine onkelhafte Industrie über farbenfrohe Kennzeichnungen von guten und „bösen“ Produkten, Empfehlungslisten und einwandfreien Inhaltsstoffen vorgibt, nicht zuletzt an jene Regeln, durch die das Reden zwar grammatikalisch verhunzt wird und die Sprache verarmt, aber moralisch korrekt sich des Applauses von interessierter Seite erfreuen darf. Es zeichnet sich ein Schema ab, das eine jahrhundertelange Tradition der Selbstbehauptung beendet: Der Pädagogisierung folgt die Entmündigung und dieser die „Abschaffung“ dessen, was wir einst stolz Individuum genannt haben.