„Es liegt im Wesen einer Krise, daß eine Entscheidung fällig ist, aber noch nicht gefallen. Und es gehört ebenso zur Krise, daß offenbleibt, welche Entscheidung fällt. Die allgemeine Unsicherheit in einer kritischen Situation ist also durchzogen von der einen Gewißheit, daß – unbestimmt wann, aber doch bestimmt, unsicher wie, aber doch sicher – ein Ende des kritischen Zustandes bevorsteht. Die mögliche Lösung bleibt ungewiß, das Ende selbst aber, ein Umschlag der bestehenden Verhältnisse – drohend und befürchtet oder hoffnungsfroh herbeigewünscht – ist den Menschen gewiß. Die Krise beschwört die Frage an die geschichtliche Zukunft.“ So schreibt es Reinhart Koselleck zu Beginn des letzten Kapitels seines Buchs über die Aufklärung*, das von einer spannungsreichen Beziehung handelt, dem Verhältnis von Kritik und Krise. Beide leiten sich ab vom selben griechischen Wortstamm und entwickeln doch höchst unterschiedliche Bewegungen. Die Krise erzwingt eine Entscheidung, die Kritik verlang nach Unterscheidung; in der Krise erfährt man die Zeit unmittelbar, in der Kritik sucht man den Abstand zu ihr. Es täte der Aufgeregtheit einer mannigfach gebeutelten Gegenwart diese Distanz ebenso gut, wie es deren Bräsigkeit, als realitätsverweigerndem Reflex auf die Unbill momentaner Verwerfungen, zum Verschwinden brächte, wenn die Zeitgenossen sich nicht erst zu wichtigen Entschlüssen nötigen lassen müssten.
* Kritik und Krise, 105