Tag: 7. März 2024

Ein mythischer Blick auf die letzte Technik

Mit der Einführung dessen, was in der Digitalwelt spatial computing  heißt, von Brillen, die virtuelle Welten, augmented reality oder einen Mix aus beiden erlauben, schreitet die Verschmelzung von Mensch und Maschine ein nächstes großes Stück voran. Und mit ihr die wachsende Schwierigkeit, den Unterschied aufrechtzuerhalten zwischen einer Wirklichkeit, die als lebensweltlicher fester Boden anerkannt ist, die Unfraglichkeit und Gewissheit stiftet, und einer Welt aus Täuschung, Fiktion, Fake oder Lüge. Dieser Unterschied, noch moralisch beschrieben als Erkenntnis des Guten und des Bösen, war im Mythos vom Anfang der Anlass, den Menschen aus dem Paradies zu vertreiben. Nun wird die Differenz eingeebnet, das Weltwesen Mensch an eine Vorstellung gewöhnt, von der er immer mehr angezogen wird, die ihn fasziniert, ja süchtig zu machen vermag, eine künstliche Bilderexistenz, so dass er sie als Fluchtpunkt auserwählt, als Asyl vor den harten und widerständigen Anforderungen des Daseins. Es braucht nicht viel Phantasie, sich Individuen zu denken, die diese abgeleitete, zweite Welt als wahre Heimat empfinden und den Bezug zu den Tatsachen verlieren. Schon Platon hatte sie im Höhlengleichnis ausgeführt. Solche Geschöpfe werden in der Täuschung lieber leben wollen, mit der Fiktion paktieren wider Wahrheit und Präsenz, sich an den Betrug halten und ihn für die eigentliche Wirklichkeit erklären. Das alles ist schon geschehen. Noch lässt sich das eine oder andere Kriterium allerdings angeben, durch das ein solches abgeleitetes Leben entlarvt werden kann als Schein. Noch. Die Tendenz der Technik zielt auf deren Gleichgültigkeit. Der Unterschied zwischen Original und Fälschung, Wahrheit und Irrtum, Echtheit und Lüge, Welt und Scheinwelt wird keine entscheidende Rolle mehr spielen. In dem Augenblick, in dem sie eins zu sein scheinen, geschieht mehr als nur die Einebnung einer jahrtausendealten Differenz. Es geht um Alles oder Nichts: die Fähigkeit, noch vertrauen zu können, das Talent zu glauben. Eine Welt, in der Vertrauen und Glauben verschwunden sind, kennt nur noch Einsame. Sie freiwillig zu suchen und in ihr unbegrenzt Zeit zu verbringen, das kennt der Mythos als Hölle.