Monat: Dezember 2019

Und morgen ist alles anders

Weitgehend willkürliche Einschnitte in den Gang der Dinge, zu denen vor allem der Jahreswechsel gehört, geben die Gelegenheit für Neuanfänge, die nicht gerechtfertigt werden müssen. Es genügt das Datum, das einen Einschnitt verzeichnet, um auch im Leben eine Zäsur zu setzen. Wer die guten Vorsätze über die Nacht gerettet hat, verdient den Schutz der symbolischen Diskontinuität, die den nächsten Tag anders zählen lässt. So dass auch anderes zählen darf als vordem noch und der Erinnerung ans wiederholte Verschleifen der besten Absichten, gestützt durch den Kalenderbruch, entschieden entgegengehalten werden muss: Von nun an ist alles anders.

Was kommt danach?

Mangels Benennungsphantasie – oder wohnt den Lebensverhältnissen gar ein heimlicher Hang zur Selbstvernichtung inne? – heißen jene Zeiten, die sich von sich selbst schon verabschiedet haben – oder von jenen Intellektuellenbeamten entlassen wurden, die dringend ein neues Forschungsfeld brauchten –, Spätphasen, ohne allerdings schon erkennen zu geben, wohin sie aufgebrochen sind. Wir leben in der Spätmoderne (Anthony Giddens, jüngst Andreas Reckwitz), beobachten, das allerdings schon lang, den Spätkapitalismus (so seit Werner Sombart), haben es mit einer Spätkultur (Arnold Gehlen, schon Oswald Spengler, der sie als „Zivilisation“ bezeichnete) zu tun. Alles Späte, im Zustand der Reife, hat den Vorteil, dass man wagnisfrei ein Urteil sprechen kann. Man könnte auch sagen: den Vorzug der Gefälligkeit, so beim Genuss der Spätlese oder des Spätkaufs. Hegel hat die dem Denken inhärente Behaglichkeit und Langeweile als Qualität beschrieben: „Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“* Wer seinen Verstand so nutzt, riskiert nichts. Die Kunst ist vielmehr, früh zu erkennen, und rechtzeitig zu handeln.

* Grundlinien der Philosophie des Rechts, 28 

Mittelstand

In der politischen Mitte lassen sich zwar Mehrheiten erzielen, aber keine Positionen besetzen. Sie ist wie in der Mathematik durch das Gleichmaß bestimmt, durch den identischen Abstand zu den Rändern, den Außenstellen, den Extremen, und verändert sich in der Weise, wie diese sich bewegen. Dort wird entschieden, was neu genannt zu werden verdient, was Aufbruch bedeutet, das Unerhörte und Ungewöhnliche. Auf all das reagiert die Mitte, aber sie erforscht und erlangt es nicht. Die Mitte ist Sowohl-Als auch, nie Entweder-Oder, allenfalls Weder-Noch. – „Ich habe endlich meine Mitte gefunden“, sagte er. Und sie wusste im Moment, dass fortan mit ihm nichts mehr anzufangen ist.

Recht und Gerechtigkeit

Kein Gesetz ist so umfangreich, unmäßig, unverständlich wie das deutsche Steuerrecht. Hundert Jahre alt, es erwuchs aus der Not eines immensen Schuldenbergs und der erwarteten Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg, ist sein Jubiläum eher verlegen begangen worden. Als im Dezember 1919 die Reichsabgabenordnung parlamentarisch verabschiedet wurde, betrug das errechnete Maß an Geldmitteln jährlich das Zehnfache gegenüber der Zeit vor dem Kriegsausbruch. Das finanzielle Loch des Staats musste gestopft, aber der Zusammenhalt der Gesellschaft durfte nicht gefährdet werden. So hatte der Jurist Enno Becker einen Entwurf vorgelegt, der „aus der Luft, aus dem Nichts“ gegriffen war, wie er anmerkte. Und dessen Ziel, neben dem Zwang, enorme Einnahmen für den Staat zu generieren, der Versuch war, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Einzelnen zu schaffen. Es sollte keinem tiefes Unrecht geschehen. Die Idee ist löblich, aber die Erfahrung mit ihrer Übersetzung ins Recht bedenklich. Denn ein Jahrhundert überbordender Gesetzesänderungen, von ungezählten Erweiterungen oder subtilen Ergänzungen des Grundtextes lehrt auch, dass nichts ungerechter zu sein scheint als das Bemühen, es jedem recht zu machen.

Wetterfühlig

Im Sommer 1816  trafen sich in der Villa Diodati am Genfer See der Dichter Lord Byron, der Schriftsteller Shelley, die Autorin Mary Godwin, die später Shelleys Frau wurde, und Polidori, der Begleiter Byrons. Es war ein ungewöhnlich kalter Juni, mit Nachtfrösten und langen nebligen, regnerischen Tagen. Das „Jahr ohne Sommer“, das auch als „Achtzehnhundertunderfroren“ bezeichnet wurde, war meteorologisch beeinflusst vom Ausbruch des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa in Indonesien, einer der größten bekannten Eruptionen in der neueren Menschheitsgeschichte. Erst hundert Jahre später konnte man die Wetterbedingungen und die ökonomischen Krisen in Europa den Folgen dieser Explosion zuordnen. Für die Bewohner des Hauses bedeutete das eine Zeit ohne Spaziergänge und Bootsausflüge. Sie beschlossen, Schauergeschichten zu schreiben und einander zur gepflegten Unterhaltung vorzulegen. So wurde der stress of weather zum Anlass für zwei der berühmtesten Texte der Weltliteratur, für Byrons Gedicht Darkness, der wohl ersten Vorstellung einer Weltklimakatastrophe, und für die Figur des Frankenstein.* Aber nicht nur das. Stillschweigend zeigte sich auch, wie wichtig die Vorstellungskraft und die ihr zugehörige Bildsprache sind, um große Desaster, zu denen der Klimawandel gewiss gehört, ins Bewusstsein zu holen. Ohne Erzählung, Poesie und Metaphorik lässt sich eine Weltbevölkerung nicht ansprechen in ihrem Veränderungswillen, auch wenn die wissenschaftlichen Fakten ganz und gar offenkundig wären. Aus Tatsachen entstammen die wenigsten Taten; Handeln ist die Domäne der Ideen.

* Eva Horn hat in ihrem Buch über die „Zukunft als Katastrophe“ diesen Sommer als Ausgangspunkt für die modernen Katastrophenfiktionen ausgemacht: vgl. S. 75.

Weniger Egoismus

Menschen, denen der Andere wichtiger ist, als sie sich selbst, finden oft den Fremden weniger interessant als das Eigene. Wenn aber überhaupt erst am Fremden verstanden wird, was ein Anderer ist? Es gehört zu den Ansprüchen, die von außen herangetragen werden, dass sie lästig sind und zugleich beglückend wirken, weil im tiefsten nie auszumachen ist, ob als unheimlich erlebt wird, dass man nicht allein sein könnte in der Welt, oder beruhigend, dass man nicht allein sein muss. Wer hilft schon gern; wer wird schon gern übergangen, wenn Hilfe geboten ist? Es sind solche ambivalenten Erfahrungen, zwischen Überschwang und Überforderung, Zugewandtheit und Zumutung, Anteilnahme und Animosität, die eine scharfe Grenze zwischen dem Anderen und dem Fremden ziehen lassen, wo sie nie genau verläuft.

In diesem Jahr nicht

„In diesem Jahr schenken wir uns nichts“, hatten sie verabredet – es war zur Entlastung des Partners gedacht, nicht als Drohung, dass ausfiele, was für die meisten, nicht nur Kinder, der schönste Teil des Fests ist. Dann begann das Nachdenken. Und wenn sie doch …? Eine Kleinigkeit sollte ich wenigstens besorgen, meinte er, als Reserve für alle Fälle. Dasselbe überlegte sie. Nur dass es ihm auffiel, als sie mit einem Päckchen aus der Stadt kam, das offensichtlich für ihn bestimmt war. Also ging er los. Besorgte dies und das, legte sich ins Zeug. Sie nahm diskret zur Kenntnis, wie oft er unterwegs war und verstohlen ins Haus zurückkehrte, um nicht mit den Tüten seiner Einkaufstour ertappt zu werden. Und zog die Konsequenzen. Unterm Weihnachtsbaum stapelten sich schließlich die Gaben. „Da ist uns aber eine Überraschung gelungen, Schatz“, sagte sie erschöpft nach der Bescherung. „So soll es doch sein zu Weihnachten“, erwiderte er glücklich, dass er sie hatte beeindrucken können. „Aber im nächsten Jahr …“, hob sie an. „… schenken wir uns nichts“, ergänzte er.

Kein Raum in der Herberge

Die Weihnachtslegende, die den Stall als Geburtsstätte des Weltenerlösers bestimmt und den Augenblick seiner Gegenwart als erfüllt verheißt, berichtet von einem raumlosen Ort und einem zeitlosen Ereignis – auch wenn der Chronist Lukas alle Register der antiken Geschichtsschreibung zieht, um der Erscheinung des Gottessohns historische Plausibilität zu geben. Der Kernsatz lautet: „ … denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“ (Luk 2,7) Von der Utopie entlehnt der Erzähler Vorkommnisse, die das Vorstellungsvermögen sprengen, wie die Engel, nur dass er sie einordnet in die Weltgeschichte und lokalisiert im Dorfgeschehen von Bethlehem. Michel Foucault nennt solche Szenarien Heterotopien, „die vollkommen anderen Räume“*, und schreibt ihnen die Aufgabe zu, eine Stelle zu sein, an der Menschen ihre Illusionen auslagern. Die Krippe könnte ein solch spezieller Ort sein. Doch als Lagerstätte für verkehrte Träume taugt die Botschaft des heiligen Textes nicht. Sie nutzt die Verweigerung eines geeigneten Platzes für die Niederkunft erzählerisch, um nüchtern zu zeigen, dass es nichts gibt, was dem wertvollsten aller Geschenke an die Welt angemessen wäre. Keine noch so einladende Geste reicht. Nicht zu genügen ist die säkulare Bedeutung dessen, was theologisch Gnade heißt. „Wie soll ich dich empfangen?“ fragt der Dichter des Kirchenlieds Paul Gerhardt. Darauf gibt es sinnvoll keine andere Erwiderung als das schweigende, vielleicht demütige und dankbare Staunen, dass der sonst alles entscheidende Unterschied zwischen groß und klein vor dem menschlichen Gott nichts gilt, der nicht geringschätzt, sondern das Geringe schätzt.

* Die Heterotopien. Der utopische Körper, 11

Die Würze des Gedankens

Man sollte nur Worten folgen, die sich zunächst nicht über den Weg trauen. Erst der Gedanke, der den Zweifel an sich selbst überwunden hat, vermag auch jene Kraft zu entfalten, die mit Recht um Anhänger wirbt. Noch nie hat diese Welt sich retten lassen von denen, die vorgeblich wissen, wie es geht. Es gibt zu viele Antworten, die den Schmerz einer Frage nicht verstanden haben. Skepsis ist, was ein Urteil scharf macht, weil ihm die Verlegenheit abgenommen wird, gültig sprechen zu müssen, ohne das letzte Wort haben zu können.

Von Mücke und Elefant

Vorweihnachtliche Besinnung: Weil wir das Eigene ständig vergrößern, wenn es klein geraten ist, ermüdet das Gespür für jenes Fremde, das in seinen kleinen Gesten Großes zeigt.

Lebensprinzipien

Nicht um zu gängeln, sondern zur Entlastung von der hinderlichen Frage, was zu tun sei, die ja nur dort ernsthaft gestellt werden muss, wo die Sache das Erforderliche nicht gleich mitgibt, sind die Handlungsprinzipien erfunden. Das Schlichteste unter ihnen ist zugleich das Schwierigste. Und macht die Entscheidungen dennoch leicht. Es lautet: Vertraue stets auf das, was die Lebendigkeit des Lebens im Kleinen wie in den wesentlichen Aufgaben eher fördert als beeinträchtigt. Der Rest ist Zuversicht und Mut.

Sich Feinde schaffen

Das ist das Los der Begabten, dass sie mit jedem Ausdruck ihres Talents nicht nur Schönstes schaffen, sondern die anderen wider Willen für unvermögend erklären. Nirgendwo ist der Weg zur Anerkennung weiter als von der Bewunderung aus. Gerade die natürliche Freundlichkeit einer virtuosen Qualifikation, die sich in den Dienst der Allgemeinheit stellen will, indem sie ihre Fähigkeit für andere einsetzt, evoziert Missgunst, Neid, zuletzt Feindschaft.

Blickrichtung

„Lass uns nach vorn schauen.“
Gern, wenn du mir sagst, wohin ich meinen Blick richten soll.

„Weiter, immer weiter.“
Habe das Gefühl, dass bei jedem Schritt die Lage immer enger wird.

„Die Zeit heilt alle Wunden.“
Das werde ich ihr nie vergessen, dass sie mich vergessen lässt.

 

Bewerbungsgespräch

Beim Eingehen eines neuen Arbeitsverhältnisses gibt es überhaupt nur zwei Fragen, die jenseits der fachlichen Eignung vorzulegen sind: Was treibt den Kandidaten an? Und, wichtiger noch: Woher bezieht er sein Durchhaltevermögen? Alles andere ist zu vernachlässigen, wenn das Anspruchvollste im Beruf darin besteht, das Niveau und die Qualität mindestens zu halten, die man zu Beginn für die Sache gewählt hat.

Auf der Strecke geblieben

Rasender Stillstand in München

Die Stadt München wirbt für eine Mobilitäts-Applikation: „Immer wissen, wo Deine S-Bahn steckt“. Das Smartphone verrät den neuesten Stand der Dinge. Der Kunde, so das unfreiwillig ehrliche Plakat, soll sich über die Wartezeit hinwegtrösten mit der Kenntnis, wo der Zug „steckt“, steckengeblieben ist. Nur dass die Neugier aufs Misslingen in den meisten Fällen deutlich geringer ist als die gespannte Erwartung aufs reibungslose Fortkommen. Im Zeitalter des „rasenden Stillstands“ (Paul Virilio) konzentriert sich die Anstrengung darauf, jene in ihrer Raserei zu besänftigen, die notgedrungen stillstehen müssen. Marketing heißt: das Funktionieren als Glücksfall verkaufen.

Wenn die Finger fliegen

Die Pianistin, engelgleich in Glitzergold gekleidet, lässt die Finger über die Tastatur fliegen. Ein anspruchsvolles Stück, von Prokofjew vor hundert Jahren komponiert, verlangt höchste Konzentration. Hitzig, gelegentlich gehetzt laufen die Bewegungen über das Manual, ein virtuoser Vortrag. Es ist kein Fehler zu hören, ein perfekt eingespieltes Orchester begleitet die präzise gesetzten Tonfolgen; da hakt nichts. Aber es bleibt auch nichts hängen. Anders als das Hirn ist das Herz kein Organ für das Vollkommene.

Aus dem Weg räumen

Der dritte Advent scheint der Tag der Barrierefreiheit zu sein. In den Lesungen, die von den Kirchenkanzeln zu hören sind, tritt der Vorläufer auf, Johannes, der Täufer, die personifizierte Erwartung, und fordert ruppig ein: ebene Wege, erhöhte Täler, erniedrigte Berge, kurz: eine Welt ohne Hindernisse. Denen allerdings, die es sich leicht machen, setzt er hohe Hürden; denen, die meinen, es nicht nötig zu haben, Mächtigen und Reichen, frommen Parteigängern oder fiesen Profiteuren, raubt er zornig die Illusion einer anstrengungslosen Rehabilitation. Es ist der Zwiespalt des Testaments, der sich in diesen Worten manifestiert, einer Annonce, die der schnellen Gewissheit die Verunsicherung entgegensetzt, dem Lichterglanz die Härte, dem Geschenk das unselbstverständliche Tun, der Einsicht, nichts beitragen zu können, die Erinnerung, alles vorbereiten zu müssen. Was nun? Die Ausleger solcher Proben auf die Schärfe der guten Nachricht verweisen meist auf den Überraschungsaspekt: Nur die kraftvoll dunkel dargestellte Lage lässt die Helle der Weihnachtsbotschaft erst recht leuchten. Der Bußprediger in der Wüste würde solchen milden Interpreten den Ernst der Situation wohl um die Ohren hauen. Und ihnen zu verstehen geben, dass der absolute Wert nur anschaulich gemacht werden kann in der absoluten Unmöglichkeit, ihn zu erreichen. Dass der Weltenerlöser nah sei, mag allein denen ein Trost sein, die noch hadern damit, man könne ihn überhaupt ersehnen. Dass alles am Glauben an einem Kind hängt, spiegelt sich wider im Unglaublichen. Der dritte Advent ist eine Einübung in die Paradoxie, das höchste Hemmnis des Denkens.

Kopf hoch

Untröstlich ist der Freund, der erfahren muss, dass sein holpriges Bemühen, Mut zuzusprechen und Stärkung anzubieten in aussichtsarmer Lage, erwidert wird, statt mit tiefer Niedergeschlagenheit, durch gespannte Heiterkeit. Die antwortet stellvertretend und stillschweigend: Trotz Not, nicht nötig. Der Trost sollte nicht mehr sein wollen als die selbstgewisse Handlungsform der Diskretion, die – weil sie sich im Handeln gerade zurückhält – nur als Geste wirkt. Immer tatenlos, oft wortlos ist der Trost nie bedeutungslos.

Los geht‘s

Mit Menschen, die nichts beenden können, kann man auch nichts anfangen.

Politische Erschöpfung

Was die Demokratie auszeichnet, dass es in ihr keine politische Entscheidung von Gewicht gibt, die nicht im Parlament oder als Volksabstimmung ausgehandelt wurde, bedeutet zugleich ihre größte Gefährdung. So mancher Beschluss wird am Ende nur deswegen als Befreiung empfunden, weil er notgedrungen – man hat wieder ins Handeln zu finden – einer verfahrenen Lage ein Ende bereitet. Es müssen nicht die schlechtesten Übereinkünfte sein, die aus der Erschöpfung erwachsen, aber jede Abstimmung kämpft da mit Verdruss und Gleichgültigkeit, der selbst Lüge oder Irrsinn egal sind, wenn nur der Ausgang lockt aus der versteckten Überforderung, ohnehin nicht zu wissen, was in dem Fall gut zu heißen verdient. Der Feind der Demokratie ist die Abgestumpftheit von Bürgern als Reaktion auf ein Übermaß an Komplexität.

Dummdeutsch

Dumm gelaufen ist meist die Sache, bei der sich nichts rührt. Wer in Gedanken viel bewegt, sieht aus, als säße er dumm herum. Dummes Zeugs lässt sich gerade nicht anpacken. Ein Kopf voller Dummheiten ist harmloser als ein ausgewachsener Dummkopf. Zu dumm ist gelegentlich der Ausgang einer Angelegenheit, in die einer eine Menge Hirn gesteckt hat.

Die Kraft des Widerwillens

In allen Bühnenberufen, der Schauspielerei, dem Fußball, dem öffentlichen Denken, dem Musiktheater, der Moderation oder Beratung, bildet die Unlust einen unterschätzten Antrieb. Nicht selten tritt jemand widerwillig auf, und ist dann besonders gut. Es wird in solchen Momenten eine Kraft freigesetzt, auch eine von leichter Gleichgültigkeit durchmischte Lässigkeit, die der Darstellung jeden falschen Ehrgeiz nimmt. Zwischen der Furcht, eine Aufgabe zu versemmeln, und der Abstumpfung gegenüber der eigenen Tätigkeit wirkt die Performance anstrengungslos und unverkrampft. Es kann helfen, nicht zu viel zu wollen, um das elegant zu erreichen, was man will.

Lebensglück

Man kann genügend Glück im Leben haben, und das Leben als Glück nicht empfinden. Umgekehrt: Wer das Leben als Glück ansieht, wird sich um das Glück im Leben wenig sorgen.

Stress

„Es eilt!“
Stimmt. Aber für wen?

„Lass dir Zeit.“
Ok. Aber ich muss sie dir stehlen.

„Kein Stress.“
Schade. Ich bin fertig.

„Kein Problem.“
Zu dumm. Hätte mich gern erkenntlich gezeigt.

„Komm schon.“
Wieso? Ich bin doch da.