Tag: 12. Oktober 2021

Hohes Gericht

Man muss schriftliche Verträge, verklausulierte Gesetzestexte oder deren Parteigänger, die Winkeladvokaten, nicht mögen. Man muss die Art des Friedensschlusses, den zwei allbekannte Streithähne durch Richterspruch verordnet bekommen haben, nicht gleich verklären als Stiftung eines harmonischen Freundschaftsbundes. Man kann die Beachtung von Vorschriften lästig finden, die Unausweichlichkeit von formalia als überaus engstirnig abtun und jedem juristischen Akt ein prinzipielles Misstrauen unterstellen gegenüber der besseren Absicht. Und doch wird man der Verrechtlichung der Welt, die Paul Valéry ehedem als „Theologie der Niedrigkeit“* abschätzig bezeichnet hat, eines zugestehen müssen: dass sie die Folge des wohl realistischsten Blicks auf den Menschen ist. Das Recht vergiftet nicht die Welt, sondern sorgt dafür, dass die Welt umgekehrt ein Ort ist, an dem Menschen nicht notwendig in vergifteter Atmosphäre miteinander umgehen. Verträge sorgen nicht für Frieden, aber sie sorgen dafür, dass der Wille zum Frieden ernstgenommen wird.

* Cahiers 5, 485