Monat: Januar 2023

Ende vom Anfang

Die Raunächte sind vorüber; auch bei den politischen Parteien wird zum Dreikönigstag abermals ungehobelt polemisiert. Der raue Alltag hat begonnen. Zwischen den Jahren, diese unwirkliche und ins gerade angebrochene hinein verlängerte Zeit, ist vorüber. In ihr ließen wir für den Augenblick von knapp zwei Wochen unsere besseren Eigenschaften aufleben jenseits von Druck und Zwang. Fortan dominieren wieder Funktionsfähigkeit, Effizienz und das kalte Kalkül, also die ökonomischen Gesetze einer prinzipiellen Knappheitsvorstellung, die so manches Leben auf die Rohheit und Robustheit von Überlebensstrategien beschränkt. Das, wofür das Rohe auch steht: das Ursprüngliche, kann einem Lebewesen, das durch und durch seiner Fähigkeit zu Kultur wegen seinen Rang hält, kein Ideal sein. Menschlich zu sein bedeutet, seine Anfänge, seine Natur, sein Wesen überwunden zu haben zugunsten von Natürlichkeit und Charakter.

Ja, was? Nein, wie?

Je komplexer Situationen sind (je ausgereifter eine Wissenschaft, je verstrickter eine Beziehung, je abhängiger das Geschäftsmodell), desto weniger reicht das sachlich Richtige, um sie zu verstehen oder gar, sofern problematisch, aufzulösen – auch wenn alles darauf ankommt, dass die Inhalte präzise stimmen. Nur, von welcher Art sind diese Inhalte? Es genügt nicht, sie zu kennen; vielmehr übernimmt die Wechselwirkung zwischen ihnen die Regie, nicht zuletzt, um wieder handlungsfähig zu werden. Das Was wird nicht nur durchs Wie ergänzt. Das Was wird aber auch nicht vom Wie ersetzt. Das Was ist das Wie. Wie sag ich‘s, wenn Kommunikation die Botschaft nicht verfremden soll? Wie denke ich‘s, damit ein Problem nicht unnötig unscharf wird, aber dessen gebotene Unbestimmtheit erhalten bleibt? Es könnte sein, dass die herkömmliche Logik damit überfordert ist, indes fuzzy logic, Dialektik, Kybernetik, System- oder Polykontexturalitätstheorien die Schwierigkeit eher beschreiben als beheben.

Lauter Wörter

Wer schreibt, wünscht gelesen zu werden. Und zugleich ist dies seine Furcht: gelesen zu werden. Hier sucht er die Anerkennung, dort verzagt er vor dem Urteil. Hinter beidem steckt die heimliche Sehnsucht, Achtung zu erlangen, ohne sich der Begutachtung aussetzen zu müssen. Wie man so ein Ansehen nennt, das auf Einschätzung und Abschätzung verzichtet? Es ist wohl die reinste Form der Liebe. Wer schreibt, hofft geliebt zu werden, als Erwiderung auf nichts als lauter Wörter.

Der hohe Ton

Was eine Gesellschaft vor allem erreicht, die eine Politik des hohen Tons pflegt, welche in der Öffentlichkeit mit anspruchsvollen moralischen Standards auftritt: dass die Heuchelei auf der einen Seite zunimmt und die Entrüstung auf der anderen.

Wenn es keine Experten gibt

Lebendig ist das Leben meist dort, wo es keine Experten gibt: in der Freundschaft, beim Spiel, wenn Mut verlangt wird, während Trauerphasen. Oder sollte sich jemand mit Fug Tränenspezialist nennen können, eine Kapazität auf dem Gebiet der Beherztheit, sich als Fachfrau fürs Nutzlose ausgeben oder sachkundig sein in allen Vertrautheitsformen? Der Spezialist büßt für sein Wissen nicht selten mit dem Verlust an Vitalität.

Unsinnsvermeidungsgrundsatz

So groß der Wunsch, so dünn die Erwartung, erfüllt zu werden: dass wieder mehr Menschen, bevor sie sich äußern, nicht nur die eigene Sicht auf die Dinge formulieren, sondern auch die Perspektiven anderer einbeziehen. Schon Immanuel Kant sah im Willen und der Fähigkeit, „an der Stelle jedes anderen (zu) denken“*, einen der Hauptgrundsätze, garantiert Unsinn zu vermeiden. Über der Frage: Was will ich sagen? steht die Einsicht in das, was die anderen hören können, wollen und sollen.

* Kritik der Urteilskraft, § 40

Lebenseinstellungen

Der immer ans Ende denkt, meint: Nur nicht aufregen. Ist alles schon mal dagewesen.
Der die Anfänge liebt, sagt: Wie aufregend. Lass dich überraschen.