Gut verdient ein Grund dann genannt zu werden, wenn er sagt, was sein soll, indem er belegt, warum anderes nicht sein kann.
Monat: März 2023
Große Worte
Bei aller Wertschätzung der Sprache und ihrer Macht: Kommunikation ist Dienstleistung. Und wo sie diese sachliche Demut vergisst, missversteht sie sich gründlich selbst. Nichts ist peinlicher als die Satzhülse, die kaum mehr enthält als die Absicht, über fehlende und zwingende Veränderungen hinwegzutäuschen, nichts quälender als eine offenkundige, aber nicht eingestandene Lüge. Wort, Wahrheit und Wirklichkeit sind in der Pflicht, sich wechselseitig zu schützen.
Flausen im Kopf
Man sollte den Unsinn nicht zu gering achten. Anders als die Sinnlosigkeit, die allein aus der Negation gegen das Bedeutsame und Nützliche ihre Bestimmtheit zieht, ist der Unsinn stets dem Zweck verpflichtet, nicht langweilig zu sein, auch wenn die vielen launigen Flausen im Kopf am Ende für allzu wenig Brauchbares zu taugen scheinen. So selten kommt indes nicht vor, dass aus dem, was heute ineffektiv heißt, die nächste förderliche Inspiration erwächst. Alles, was die Eintönigkeit fürchtet, ergibt Sinn; da mag es noch so unsinnig sein.
Fangemeinde
„Liebe Fußballfans, wir verstehen, dass Sie sich auf das Spiel freuen. Aber Sie sind hier nicht allein. Bitte, nehmen Sie Rücksicht auf ihre Mitreisenden.“ Kaum hat die Zugbegleiterin über Lautsprecher zur Ruhe im Abteil gemahnt, greift einer der Sportbegeisterten in die Bierkiste, öffnet drei Flaschen, verteilt sie an die Fahrgäste, die erkennbar nicht in den Vereinsfarben gekleidet sind, und prostet ihnen freundlich grölend zu.
Nachtträume
Aus dem noch ungeschriebenen Roman:
… Erst als sie die Klinke drückt, entdeckt er die Tür. Sie ist nur über eine feine Schattenfuge aus der Wand geschnitten, gestrichen im selben warmen Leinenton wie das ganze Loft. Hier also wohnt sie, denkt er unvermittelt, versteckt wie die Geheimfächer in den Biedermeiersekretären. Hinter dem offenen Raum, der die Küche, das Ensemble aus dem nachtblauen Sofa und den beiden sonnenblumengelben Sesseln, Essen und Arbeiten, ja selbst den Eingang über seine kunstvoll konstruierten Stahlträger auf zwei leicht versetzten Ebenen gliedert, verbirgt sich also das Privatleben. Es ist unauffällig geschützt, die Architektur lenkt von ihm ab. Passt, fällt ihm ein. Aber da zensiert er seine Gedanken schon mit der Erinnerung an ihren verwunderten, ja verstörten Ausruf von vorhin: „Du kennst mich doch gar nicht.“ Das saß. Wäre er nicht so überrumpelt gewesen, hätte er wohl geantwortet, dass er das gern änderte. Er ist froh, es nicht so plump gehalten zu haben.
Für ein paar Minuten ist sie verschwunden. An Geräuschen vernimmt er das dumpfe Rauschen von Wasser; es kommt aus der Leitung, die im industrial look auf dem Putz verlegt ist. Und ein Klacken, als öffnete sie das Schloss eines Koffers. Wenig später steht sie vor ihm, strahlt und wiederholt den Satz, mit dem sie aufgestanden war: „Komm, lass uns spielen.“ Sie hat sich ein Saxophon umgehängt, lehnt sich an einen der T-Träger, das rechte Bein kokett angewinkelt und gegen den Schwarzstahl gestellt. Ehe er irgendetwas entgegnen kann, holt sie aus dem Mundstück schon eine in die Nacht fließende Melodie.
„Was ist das?“ Sie hat das Instrument kurz abgesetzt. „Das heißt Night Dreamer. Passend zur Uhrzeit.“ Sie lacht kurz auf. „Eigentlich ist der Anlass ein trauriger. Wayne Shorter ist heute gestorben. Ich habe es vorhin in den Nachrichten gelesen. Du weißt, der mit den Großen des Modern Jazz …“ Er nickt nur, in Wahrheit kennt er nicht viel. „Und als sich über unseren Abend so ein leicht melancholischer Film zu legen begann, da habe ich gemeint, wenn wir spielten … Spielst du vielleicht Klavier?“
Die Frage trifft ihn, zu seiner Überraschung, abgrundtief. Was soll er sagen? Dass er zweimal schon Anlauf genommen hat, zweimal vergeblich aus Mangel an Zeit, vermutlich auch Talent, nachzuholen, was ihn seit der Zeit, in der er seine Jugendliebe entdeckte, quält: all die Gefühle und Sehnsüchte nicht ausdrücken und ausleben zu können, indem er sie in Takt und Ton musikalisch fasst – soll er das jetzt erzählen, das Versagen im Pianounterricht? Er klimpert manchmal zuhause, nicht selten aus Langweile, auf seinem uralten Grotrian-Steinweg, der Schelllack blättert schon ab. Aber spielen?
„Ich kann leider nicht“, sagt er verlegen.
„Hey, was ist mit dir plötzlich?“ Sie legt das Saxophon auf den Tisch. Die Idee, damit die Stimmung aufzuheitern, ist offenkundig gründlich misslungen. Aus seinem linken Auge löst sich kaum merklich eine kleine Träne und sucht langsam ihre Bahn über die äußere Wange. Sie beugt sich über ihn, zieht ihn in ihre Arme. „Sag, habe ich was falsch gemacht?“ Er ringt um Fassung und um Worte. „Nein. Es ist nur …“ Sie schaut ihn an, wie sie ihm noch nie ins Gesicht geblickt hat. „Da ist gerade durch dein Spielen und deine Frage in mir etwas aufgebrochen, das ich wohl sehr gut verborgen gehalten habe, auch vor mir selbst.“ …
Das Ende der Koalition
Prognose: Die aktuelle Regierung wird nicht zerbrechen an der Untätigkeit oder Unfähigkeit ihrer Mitglieder, sondern an den beiden Philosophen im Kabinett, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck und Christian Lindner, dem Finanzminister. Denn seit Platons Vorstellung vom Philosophenkönig gilt für diese als oberstes Prinzip: Du sollst keine anderen Götter neben dir haben.
Das Schweigen der Vielen
In einer Demokratie wird das Schweigen der Mehrheit als Zustimmung verstanden.
In einer Diktatur gilt die Mehrheit als das, was zum Schweigen gebracht werden muss.