Aus einer Freitagabendlektüre
„Die Verquickung des Asylrechts mit Fragen der Ein- und Auswanderung hat fatale Folgen. Durch die sozialpolitische Ausdehnung, die der Asylbegriff erfahren hat, ist die Konfusion noch größer geworden. Es ist nicht einzusehen, warum Einwanderer mit gestürzten Diktatoren und flüchtigen Verbrechern oder mit Alkoholikern und Landstreichern gleichgesetzt werden sollten. Auf diese Weise ist der ,Asylant‘ zum diskriminierenden, negativ aufgeladenen Kampfbegriff geworden.
Die absichtsvoll herbeigeführte Verwechslung rächt sich aber an denen, die sie praktizieren. Es widerspricht nämlich dem Grundgedanken des Asyls, die Guten von den Schlechten zu trennen, nach dem Motto: Wer ein ,echter‘ Asylsuchender ist, entscheide ich.
Das ist im übrigen selbst beim besten Willen, der allerdings kaum vorausgesetzt werden kann, nicht möglich. Die Unterscheidung zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und politisch Verfolgten ist für viele Herkunftsländer zum Anachronismus geworden. Ein Rechtsstaat, der sie treffen will, muss sich blamieren, denn es wird immer schwerer zu bestreiten, dass die Verelendung ganzer Kontinente politische Ursachen hat, wobei sich endogene und exogene Faktoren nicht mehr säuberlich unterscheiden lassen. Schließlich wird der diffuse Weltbürgerkrieg zwischen Gewinnern und Verlierern nicht nur mit Bomben und Maschinenpistolen ausgetragen. Korruption, Verschuldung, Kapitalflucht, Hyperinflation, Ausbeutung, ökologische Katastrophen, religiöser Fanatismus und schlichte Unfähigkeit können einen Grad erreichen, der ebenso massive Fluchtgründe abgibt wie die direkte Drohung mit Gefängnis, Folter oder Erschießung. Schon allein daran müssen alle administrativen Verfahren scheitern, die darauf abzielen, den einwandfreien vom missbräuchlichen Asylsuchenden zu unterscheiden.“*
* Hans Magnus Enzensberger, Versuche über den Unfrieden, 41f.