Aus einer Sonntagslektüre
„Die Frage: Wie gehen wir miteinander um? ist eine der grundlegendsten und ältesten. Denn überall, wo Menschen zusammenleben, gibt es Konflikte und Streit. Das fängt auf dem Spielplatz an, geht weiter auf dem Schulhof und setzt sich fort im Betrieb, wo das Arbeitsklima oft durch Machtstrukturen, Ehrgeiz, Neid, Missgunst und Gewinnsucht geprägt ist. Jeder will etwas anderes und möchte es gerne durchsetzen. Ungleichheiten verstärken sich, die Wortführer bringen die anderen zum Schweigen, die Stärkeren unterdrücken die Schwächeren. Solche gruppendynamischen Prozesse stellen sich immer wieder ein, auch in der Familie unter den Geschwistern. Deshalb haben sich hier allgemeine Regeln ausgebildet, die das Recht des Stärkeren einschränken. Dazu gehört zum Beispiel eine einfache Faustregel, nach der gehandelt wird, wenn es unter den Geschwistern etwas zu verteilen gibt. Sie lautet: Der eine teilt, der andere sucht aus. Auf diese Weise sind alle zufrieden und niemand muss sich benachteiligt fühlen. Es ist immer gut, wenn nicht nur einer bestimmt. Das ist ja auch die Grundidee der Demokratie. In dieser ebenso schlichten wie genialen Regel steckt schon das wichtige Prinzip der Gewaltenteilung, das den Kern der Demokratie ausmacht und dem Rechtsstaat zugrunde liegt.“*
* Aleida Assmann, Menschenrechte und Menschenpflichten, 26