Beendet, nicht vollendet

Von Michelangelo wird erzählt, dass er, der Meister der dynamischen Form, der wie kein anderer seinen steinernen Figuren Leben eingehaucht hat, immer wieder die Arbeit unterbrach, ja abbrach, wenn er den Eindruck hatte, dass das Material sich widersetzte, dass aus dem Marmor die Skulptur sich nicht fügsam herausschälen ließe. Der Block, den er mit seinem Meißel behandelte, galt wie ein Gesetz, das sich gegen die autonome Gestaltungskraft richtete. Im Widerstreit zwischen Kunstwillen und Natur tauchte plötzlich ein Moment der Ehrfurcht auf, das zögern ließ und das eigene Bestreben einbremste. So blieb manches unfertig, nicht aus Unvermögen, sondern aus Prinzip. Das ist das Los jedes Endes, das Menschen setzen. Ob die Sache auch vollendet ist, das entscheiden nicht sie.