Kulturell bedeutet Digitalisierung Einübung in Unmittelbarkeit. Und verlangt so nach einem „Talent“, das dem Menschen, der mangels Instinktausstattung im Ensemble natürlicher Bedingungen als das Lebewesen gekennzeichnet ist, dem „die Direktheit verlorengegangen“ ist, zwar nicht fehlt, aber in dem er, auch wenn sie selbstverständlich sein sollte, sich in ihr nicht selbst versteht. „Er sieht, dass er faktisch nur Bewusstseinsinhalte hat und dass, wo er geht und steht, sein Wissen von den Dingen sich als Etwas zwischen ihn und die Dinge schiebt.“* Vielleicht erklärt dieses Fähigkeitsmanko so manche Fehlleistung im Unmittelbaren, den shitstorm im Netz, der als Reaktionsüberschuss auf einen Reiz keine zwischengesetzte Reflexionshemmung kennt, die Assoziation, die wild phantasiert, statt scharf und abgewogen zu argumentieren, die niedrige Enttäuschungsschwelle, wenn nicht immer alles gleich sofort zu haben ist, Ungeduld, Aufmerksamkeitsdefizite, Ablenkungsbereitschaft. So betrachtet ist Digitalisierung eine antikulturelle Entwicklung, weil sie die Notwendigkeit einer Kompensation dieser Schwäche im Unmittelbaren ignoriert und vom Menschen verlangt, worin er nicht gut sein kann.
* Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, Gesammelte Schriften IV, 384 und 405