Was so harmlos beschwörend „Zeitenwende“ genannt wird, als ließe sich wie bei einer Wendejacke der Stoff einfach von links nach rechts drehen, sobald die Außenseite zu viele Gebrauchspuren aufweist, ist in Wahrheit jedesmal die brutalste Phase im Gang der Geschichte. Denn bevor die Zeit sich wendet, wendet sie sich erst einmal gegen die, die mit der Zeit gehen. Übergang, Transformation, das sind die schönfärberischen Bezeichnungen für einen welthistorischen Abschnitt, der nicht ohne Niederlagen und Untergänge, Aufkündigung oder Demontage sich vollzieht. Es kommt zu Brüchen. Und über Brüche gelangt man nur durch einen beherzten, weil riskanten Sprung*.
* Der marxistische Philosoph Georg Lukács hat noch vor Heidegger im Jahr 1911 sich intensiv mit der Radikalität des Existenzdenkens befasst: „Kierkegaard sagte einmal, die Wirklichkeit stehe in keinem Zusammenhang mit den Möglichkeiten, und trotzdem baute er sein ganzes Leben auf einer Geste auf … Die Geste ist der Sprung, mit dem die Seele aus dem einen in das andere gelangt, der Sprung mit dem sie die immer relativen Tatsachen der Wirklichkeit verlässt, um die ewige Gewissheit der Formen zu erreichen. Die Geste ist mit einem Wort jener einzige Sprung, mit dem das Absolute sich im Leben zum Möglichen verwandelt.“ – Die Seele und die Formen. Essays, 63ff.