Man sollte seine Ausreden für unverkennbare Versäumnisse in jedem Fall so wählen, dass man sich für sie am Ende nicht auch noch entschuldigen müsste. Rilke war darin einst Meister. An Franz Xaver Kappus, mit dem er über viele Jahre Briefe wechselte, schrieb er am 16. Juli 1903, zweieinhalb Monate nachdem ihn ein Schreiben erreicht hatte: „Sehr lieber Herr …: Ich habe einen Brief von Ihnen lange ohne Antwort gelassen, nicht daß ich ihn vergessen hätte – im Gegenteil: er war von der Art derer, die man wieder liest, wenn man sie unter den Briefen findet, und ich erkannte Sie darin wie aus großer Nähe. Es war der Brief vom zweiten Mai, und Sie erinnern sich seiner gewiß. Wenn ich ihn, wie jetzt, in der großen Stille dieser Ferne lese, dann rührt mich Ihre schöne Sorge um das Leben, mehr noch, als ich das schon in Paris empfunden habe, wo alles anders anklingt und verhallt wegen des übergroßen Lärmes, von dem die Dinge zittern.“ Und er ist selbstbewusst genug, den Zeitpunkt seiner Erwiderung als den rechten Augenblick herauszustreichen, weil erst da, nicht schon Wochen zuvor, die ganze Bedeutung der Sätze erkennbar ist, in neuer Umgebung. Das ist mal eine schöne Ausflucht, die als Schmeichelei getarnt dem anderen Tiefe und Kraft von dessen Worten spiegelt, die wie guter Wein die Zeit zur Nachreife verlangen. Da wird die Notlüge zum Ausweis von Kennerschaft.